Hamburg. Sieben Jahre hatte er auf diesen Moment gewartet. Und nun war sein Wunschtraum zum Greifen nah: einmal beim Bundesliga-Derby zwischen dem HSV und St. Pauli dabei sein, live im Stadion, die brodelnde Stimmung miterleben, hautnah. "Ich war voller Vorfreude. In den vergangenen Jahren hatte ich keine Karte bekommen. Jetzt wollte ich das unbedingt mitnehmen", erinnert sich Oliver P. wehmütig. 200 Euro hatte der 31-Jährige für die Eintrittskarte berappt, ein stolzer Preis, doch dem HSV-Fan war es die Sache wert.

Allerdings entwickelte sich der Tag anders als geplant. Denn statt im Stadion mitzufiebern, verbrachte Oliver P. etliche Stunden in einer Gefängniszelle.

Jetzt haben die für den Hamburger ohnehin schon höchst frustrierenden Ereignisse vom 19. September vergangenen Jahres ein juristisches Nachspiel. Oliver P. muss sich wegen Landfriedensbruch in einer Berufungsverhandlung vor dem Landgericht verantworten. Das Amtsgericht hatte den 31-Jährigen bereits zu einer Geldstrafe von 600 Euro verurteilt, dagegen hatte der Mann Rechtsmittel eingelegt. Im Einzelnen wird ihm vorgeworfen, am Hans-Albers-Platz bei einem Fan-Marsch im Vorfeld des Fußballspiels aus der Menschenmenge heraus eine Flasche in Richtung von Polizeibeamten geworfen zu haben. Durch diese Aktion, so die Anklage weiter, seien die Ausschreitungen gefördert worden, zahlreiche weitere Flaschen flogen zu den Polizisten.

Er sei an jenem Tag bester Stimmung gewesen, erinnert sich der hagere, schwarzhaarige Angeklagte. Mit mehreren Bekannten sei er zum Fan-Marsch gegangen. "Wir haben gesungen, getanzt, waren euphorisch", erzählt er. Auch viele Väter mit ihren Söhnen seien dabei gewesen. 500 bis 700 Menschen hätten teilgenommen, schätzt er. "Wir hatten Spaß, haben gefeiert, unter anderem Bier und Feigling getrunken, aber alles ordentlich in die Mülleimer entsorgt, wir als Erwachsene haben ja Vorbildfunktion. Auch unsere Kippen sind im Mülleimer gelandet."

Polizisten hätten den Marsch begleitet. Irgendwann habe er eine Durchsage der Polizei gehört, dass es ein Vermummungsverbot gebe und auch Pyrotechnik verboten sei. Er habe wegen der Gefahren großen Respekt vor Pyrotechnik, betont Oliver P. "Ich bevorzuge was fürs Auge, zum Beispiel Bengalisches Feuer, nicht nur peng und fertig."

Weil einige Fans Böller geworfen hätten, seien die Polizeikräfte aufgestockt worden und hätten sie von vier Seiten begleitet, wie in einem Kessel, meint der Angeklagte. Da sei die Stimmung "aggressiver und unberechenbarer geworden. Ich persönlich finde die Polizeipräsenz verständlich, aber die Einkesselung war doch etwas übertrieben", erklärt er. Immer mehr Menschen hätten Pyrotechnik verwendet, "ich hatte Angst davor. Da kam es bei mir so an, dass die Polizei androhte, es mit der Pyrotechnik nicht mehr zu dulden und alle durchzuchecken." Viele Teilnehmer hätten nach der Ansage ihre Böller gezündet. "Es wurden daraufhin Wasserwerfer eingesetzt, zum Löschen, ich wurde auch nass, war relativ genervt."

In einer "Trotzreaktion" habe er dann eine Bierflasche in einer Ausholbewegung in Richtung der Polizisten geworfen. "Es war wie ein Korbleger beim Basketball. Ich wollte niemanden verletzen." Doch offenbar wirkte dieser Flaschenwurf wie eine Initialzündung. Auf einem Polizeivideo, das im Prozess gezeigt wird, ist zu sehen, dass anschließend etliche Menschen Gegenstände auf die Polizisten warfen. Daraufhin wurden mehrere Marsch-Teilnehmer in Gewahrsam genommen - darunter auch Oliver P. Acht Stunden habe er in einer Zelle verbringen müssen, empört sich der Angeklagte. Vorbei das lang ersehnte Derby, die 200-Euro-Karte verfiel, seufzt der 31-Jährige.

Bei dem Marsch seien auch St.-Pauli-Fans auf der anderen Straßenseite gewesen, gibt die Vorsitzende Richterin zu bedenken. "Dass das, was Sie als Einkesselung empfunden haben, zu Ihrem Schutz gewesen sein könnte, haben Sie nicht wahrgenommen?" Damals habe er das nicht so empfunden, "aber heute sehe ich das ein", überlegt Oliver P. Schließlich räumt der 31-Jährige die Tat ein, ihm geht es in dem Berufungsprozess nur noch um eine geringere Strafe als die des Amtsgerichts.

Eine Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu fünf Euro verhängt das Gericht am Ende. Ohne Geständnis hätte er mit 60 Tagessätzen rechnen müssen, betont die Richterin. "Sie waren sauer, Sie waren nass geworden. In Ihrer Wut haben Sie die Flasche geworfen, obwohl die Polizei am wenigsten dafür konnte. Sie hätten sich zurückziehen können." Oliver P. hat aus dem Ereignis seine Lehre gezogen. In Zukunft werde er es sich "dreimal überlegen", ob er wieder an einem Fan-Marsch teilnimmt.