Gängelung erweckt den irrigen Eindruck, alkoholbedingten Vandalismus gebe es nur, weil “Du darfst nicht“-Schilder fehlen

Wir streben stets nach dem Verbotenen, schrieb der römische Dichter Ovid, und Casanova zitiert den Satz in seinen Memoiren. Vom Rechtsstaat hatten beide noch nie etwas gehört, umso mehr verstanden sie von der Natur der menschlichen Moral. In den deutschen Knabeninternaten, berichtet Casanova, wo das Geschlechtsleben streng tabu sei, werde am meisten onaniert. Der Einwand ist klassisch und beruft sich auf die Lehre von den verbotenen Früchten im Paradies: Ein Verbot ist nicht nur eine Maßregel, sondern schafft auch Anreize, die erst unter seinem Einfluss unwiderstehlich werden.

Anreize durch Verbot sind eine zweischneidige Angelegenheit. Es gibt verführerische Verbote, die das Zuwiderhandeln herausfordern, es gibt konstruktive Verbote, die wie das Inzesttabu das Verhalten optimieren, und es gibt banale Verbote, die fantasielos Möglichkeiten beschneiden und Spielräume begrenzen. Mit diesem Typus haben wir es heute meistens zu tun. Während das private Onanieren inzwischen jedermann freisteht (und wir an dieser Stelle locker darüber reden dürfen), ist das Rauchen und Trinken in der Öffentlichkeit und neuerdings auch der Gebrauch von Atomstrom so eine Sache. Man fühlt sich unbehaglich.

In meinem Arbeitszimmer verrichten zwei 60-Watt-Birnen ihren Dienst, zu denen ich zwar durch das aktuelle, unter anderem von Herrn Sarkozy geforderte Verbot nicht in eine engere Beziehung getreten bin. Sie haben nun aber doch begonnen, als Zeichen des künftig Unzulässigen zu leuchten. Dabei wünsche ich mir eigentlich nur, dass sie auch weiterhin tun, was sie tun sollen: möglichst lange durchhalten.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat jetzt das Hamburger Alkoholverbot "ein gutes Beispiel" genannt. Die Begründung offenbart einiges über den Geist des Verbietens. Der Prohibitionismus sieht die Welt als Gefahrenzone, den Menschen als Missetäter. Das ist, wie schon Ovid und Casanova wussten, wenig klug und auch ein Missverständnis.

Politik und Erziehung sind jedoch zweierlei. Die Gängelung durch das "Du darfst nicht" erweckt den irrigen Eindruck, der alkoholbedingte Vandalismus, gegen den sich die Maßnahme offenbar vor allem richtet, greife bloß deshalb um sich, weil es an Verbotstafeln fehle.

In Wirklichkeit ist es so, dass beide die Norm verletzen - das Betragen der Randalierer ebenso wie der inflationäre Erlass von Verboten. Ihr verschwenderischer Einsatz schwächt die Autorität der Sanktion und lässt das Wort "verbieten" zur leeren Hülse werden.

Um Missverständnissen an dieser Stelle zuvorzukommen: Mir ist das Trinken in Bussen und Bahnen nie ein Bedürfnis gewesen, und ich persönlich werde auch den "Gefällt mir"-Button von Facebook nicht vermissen, den die Landesregierung in Schleswig-Holstein soeben auf den Index gesetzt hat. Aber wir reden hier auch nicht auf der Ebene der persönlichen Betroffenheit. Wir reden von einer detailbesessenen Verbotspraxis, die den öffentlichen Raum zügig verrechtlicht und damit jener Befolgung von Regeln aus freien Stücken, die man Moral nennt, die Würde nimmt und sie untergräbt. Wenn der gleiche Staat, der die Verbote erlässt, sich mit gemeinwohlschädlichen Krisengewinnlern zum Gruppenbild zusammenfindet, macht er sich unglaubwürdig und trägt das Seine dazu bei, die schlichte Würde der Moral verächtlich erscheinen zu lassen.

Eine kluge Verbotspolitik erkennt man daran, dass sie sich rechtzeitig selbst in den Arm fällt. Irgendwann - und der Grundsatz kann hier nur lauten: je früher, desto besser - muss Schluss sein.

Eine Erzählung des im letzten Jahr verstorbenen amerikanischen Schriftstellers John Updike erinnert an die ersten Nachkriegsjahre als eine Zeit, in der "alle schwanger waren". Updike zeichnet eine Welt der Freizügigkeit: frohe Erwartungen, lächelnde Männer, den Hut in den Nacken geschoben, schöne Frauen im Abendlicht, gutes Essen, Trinken, Rauchen - Konsum ohne Reue. Das mag ein wenig nach Schlaraffenland klingen, und Updike selbst spielt darauf an, dass sogar das Paradies das Verbot kannte. Ja, gewiss doch. Aber es war eben auch nur dieses eine.