Der Ärztekammer-Chef warnt vor kurzsichtiger Politik. Die Überschüsse seien zu gering, um Versicherte schon entlasten zu können

Geradezu absurde Formen nimmt die Debatte über angelaufene Überschüsse im Gesundheitsfonds an. Knapp zwei Milliarden Euro sind mehr eingezahlt als ausgegeben. Das sind etwa ein Prozent der Gesamtsumme im Gesundheitsfonds, eigentlich eher Ausdruck einer Punktlandung.

Und schon beginnt das Geheule der Lobbyisten der Krankenkassen um den Beitragssatz. Da werden Beitragssenkungen gefordert, Rückgaben an die Versicherten apostrophiert, und da wird der Eindruck erweckt, der Gesundheitsfonds schwimme im Geld. Dabei wissen alle Kundigen, dass ein Überschuss von 1,8 Milliarden eine Beitragssatzsenkung von maximal 0,2 Prozentpunkten, wahrscheinlicher nur von 0,15 rechtfertigt. Wie kurzsichtig ist solche Politik, wie falsch!

Die Realität ist eine andere. Wir alle wissen doch: Nach der City BKK soll eine weitere BKK von der Schließung bedroht sein, und bei weiteren 20 Krankenkassen - so munkelt man - fehlt akut das Geld. Immer mehr Kassen diskutieren Zusatzbeiträge, und ein Schreihals aus der Lobbyetage der Ersatzkassen forderte Ende Juli Beitragssatzsenkungen. Wie passt das zusammen? Es geht um knallharten Wettbewerb. Krankenkassen, die Überschüsse erwirtschaften, weil sie gute Risikoselektion betrieben haben, erhoffen sich von einer Verknappung der Mittel im Fonds eine Verstärkung des wirtschaftlichen Drucks auf ihre Konkurrenten. Ihnen geht es nicht um Wohltaten für Versicherte, ihnen geht es allein um Wettbewerbsvorteile für sich selbst. Dabei wären Beitragssatzsenkungen jetzt völlig unzeitgemäß - ja sogar gefährlich.

Wir wissen alle, dass Beitragssenkungen schnell genommen, verfrühstückt und vergessen sind.

Sollte allerdings wieder Knappheit im Fonds herrschen, wird die Wiederanhebung zu einem größeren politischen Manöver. Da muss zuerst wieder ein kräftiges Defizit im Fonds anwachsen, bevor der Druck im Kessel der Politik groß genug ist, um Beitragssatzanhebungen durchzusetzen. Mit allen Folgen der Verunsicherung unserer Bevölkerung, die das Ende des Sozialstaates vor Augen sieht.

Wir wissen doch alle, wie fragil die gegenwärtige Konjunkturlage ist. Sie aber ist ausschließlich für die gute Finanzlage des Fonds verantwortlich - nicht etwa ein besonders wirtschaftliches Verhalten der Krankenkassen, deren Verwaltungskosten steigen und steigen ...

Kippt die Konjunktur aber, dann kommt der Fonds in doppelter Weise unter Druck. Zum einen führen eine sinkende Beschäftigung und steigende Arbeitslosigkeit zu geringeren Zuführungen in den Fonds durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Zum anderen aber wird auch der Staat bei sinkender Konjunkturleistung jeden Euro, den er an den Fonds überweist, mehrfach drehen und wenden. Die Mittelknappheit im Fonds kommt also wie eine Zangenbewegung von zwei Fronten.

Und es mehren sich die Zeichen, dass das Ende des rosaroten Konjunkturhimmels schon erkennbar nahe ist. Immer noch haben wir die Euro-Krise nicht im Griff. Unsere Regierungen sehen tatenlos und schwach zu, wie Schuldenberge zulasten der Generationen unserer Kinder aufgehäuft werden. Unser Garten Eden Europa könnte einmal zu deren wirtschaftlichem Hades werden.

Peter Bofinger, einer der Wirtschaftsweisen der Regierung, hat unlängst festgestellt, dass auch das Unvermögen der Amerikaner, ihre Finanzkrise zukunftsfest zu lösen, der Weltwirtschaft schweren Schaden zufügt, indem es die Konjunktur abwürgt.

Und schließlich hat auch Doris Pfeiffer, Vorsitzende des Spitzenverbands Bund (Interessenvertreterin der 217 gesetzlichen Krankenkassen) am selben Tag verlauten lassen, die Mittel im Fonds würden nicht für alle Bedürfnisse aller Versicherten reichen. Schöner und schneller kann man den eigenen Unsinn eigentlich gar nicht belegen als mit diesen Äußerungen.

Wir sollten also aufhören, mit kurzfristigen populistischen Stellungnahmen nach der Volksmeinung zu schielen. Stattdessen sollten vor allem die Krankenkassen endlich solide Haushaltspolitik im Interesse ihrer Versicherten betreiben. Und dazu gehört nun mal der schöne alte Satz: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.

Dr. Frank Ulrich Montgomery, 59, ist Präsident der Bundesärztekammer, der Ärztekammer Hamburg und Chef des Marburger Bundes in Hamburg