Stattdessen wird reflexhaft abgewehrt oder der Vorwurf der Nestbeschmutzung erhoben, bemängelt die grüne Innenpolitikerin

Zu Libyen, zu Merkel oder zu Wartezeiten in Kundenzentren hat fast jeder eine Meinung. Gut so. Die kontroverse Debatte ist zum Glück erprobtes und normales Verhalten in unserem Rechtsstaat. Das Grundgesetz garantiert seit 62 Jahren die Meinungsfreiheit, ebenso lange ist das Gewaltmonopol des Staates erprobt.

Hüterin des Gewaltmonopols ist die Polizei. Darf man ihre Arbeit auch kritisch diskutieren? Man muss sogar! Wer damit anscheinend ein Problem hat, sind die Polizeigewerkschaften. Rund 8000 Männer und Frauen üben in Hamburg den Polizeiberuf aus.

Das ist eine oft kräftezehrende Routineaufgabe, eine Dienstleistung an den Bürgerinnen und Bürgern, Konfrontation mit Leid und Elend - und manchmal auch Einsatz unter der Gefährdung des eigenen Lebens. Dabei üben sie Gewalt aus und erleben Gewalt. Polizisten und Polizistinnen arbeiten und leben mitten in unserer Gesellschaft. Ihre Arbeit kann sich Lob verdienen, sie muss sich aber auch Kritik stellen! Das Gewaltmonopol verleiht der Polizei dabei keine Sonderrolle. Prof. Rafael Behr, Professor der Hochschule der Polizei, publiziert und lehrt seit Jahren zum Thema Polizeikultur und -struktur. Er stellt kritische Thesen auf, das gehört zu seiner Aufgabe und zur Freiheit von Forschung und Lehre, die das Grundgesetz garantiert.

Was er sagt, mag manchem unangenehm sein: Die Funktionäre stilisieren die Polizei zum "Opfer". Ihnen fehle das Verständnis für die besondere Rolle der Polizei.

Auf dem alternativen Polizeikongress der Grünen im Juni hatten Polizisten kritisiert, dass sie oft Versäumnisse der Politik ausbaden müssten. Zum Beispiel im Streit um Stuttgart 21. Diese Kritik ist berechtigt.

Dass gesellschaftliche Konflikte im Extremfall auch gewalttätig sind, ist weder neu noch überraschend. Das ist quasi das Berufsrisiko der Polizei bei der Ausübung staatlicher Gewalt. Darüber muss man diskutieren dürfen. Dieses Risiko, darauf weist auch Behr hin, ist in den letzten Jahren nicht wesentlich größer geworden, die Statistiken geben das bei seriöser Analyse nicht her.

Behr stellt sich offen gegen die in Hamburg starke Polizeilobby aus Gewerkschaften und Polizeiführung, die Kritik jeder Art von außen reflexhaft abwehrt und Kritik von innen als Nestbeschmutzung diffamiert. Als innenpolitische Sprecherin beobachte ich dieses Reaktionsmuster seit sieben Jahren. Mal geht es um die Anti-Konflikt-Teams, mal um Schilder mit Namen oder Ziffern bei der Bereitschaftspolizei, mal um die Evaluation von einzelnen Einsätzen. Ich halte es für absurd, dass hinter jedem Thema gleich eine grundsätzliche Kritik an "der Polizei" vermutet wird.

Der aktuelle Konflikt zeigt, mit wie harten Bandagen um die Interpretationshoheit über das polizeiliche Handeln und Selbstverständnis gekämpft wird. Der Ruf nach "dienstrechtlichen Konsequenzen bis zur Entfernung aus dem Dienst" kommt der Zensur der Freiheit der Wissenschaft nahe und kann keine ernst gemeinte Gewerkschaftsforderung sein. Auch die Debatte über höhere Strafen bei Übergriffen auf Beamte zielt an der Wirklichkeit vorbei.

Es gibt großen Redebedarf! Die angestoßene Debatte ist überfällig. Gut, dass sie jetzt öffentlich stattfindet. So wie sich Schulunterricht verändern muss, wenn sich die Zusammensetzung der Klassen verändert, so muss sich auch Polizeiarbeit verändern, wenn sich soziale und kulturelle Milieus in der Gesellschaft verändern.

Der Polizei geht es da nicht anders als Kirche oder Schule: Die Ehrfurcht vor der Institution an sich nimmt ab, aber Lehrer oder Pastorinnen erwerben sich Respekt durch ihr Handeln und Tun. Für Polizisten gilt das ebenso. Dafür brauchen sie das nötige Rüstzeug und Unterstützung darin, die eigene Rolle zu reflektieren und offen auch für Kritik von außen zu sein.

So wie es der Polizei gelingen muss, Strategien gegen neue Formen der Kriminalität zu entwickeln, so muss sie auch den Diskurs führen über Vertrauensverlust und Respektverlust innerhalb der Gesellschaft. Das ist vielschichtig und kompliziert.

Mit seinen Vorschlägen für Veränderungen in der Polizeiausbildung spricht Professor Behr die richtigen Themen an.