Ein norddeutscher Fluch- und Schimpfkalender - muss das sein? Wir meinen: Ja. Außerdem ist er ein künstlerisch anspruchsvoller Fotoband.

Hamborg. Als wahre Meister des derben Worts gelten seit jeher die Bayern: "Himmi Herrschaftszeitn, Kreiz Birnbam und Hollastaudn, Zefix Halleluja, Sackl Zement noamoi, Sauteifi misrabliger, Rame gscherta, jafreili, jez glangts aba sche langsam, du Rindviech, du karierts! Host mi?" heißt es im "bajuwarischen Schimpfsack". Aber das versteht ja keine Sau.

Doch das derbe sprachliche Selbstbewusstsein der Bajuwaren animierte ein paar "Buckrutscher", zugleich Anhänger der norddeutschen Mundart, zu einer verbalen Gegenoffensive, denn bang sünd wi nich, aber lopen köönt wi fix. Die Idee von "Schiet di wat!" ward geboren - und nun ist er endlich da: Der erste norddeutsche Schimpfkalender, herausgegeben vom Abendblatt, een ruugbeenig Kaleidoskop der schönsten, klarsten, kraftvollsten, aber eben doch gesellschaftsfähigen Verwünschungen. Zum besseren Verständnis (ein Service für die Zugereisten aus südlichen Gefilden) wurden die Kraftausdrücke vom bekannten Hamburger Fotografen Volker Wenzlawski optisch umgesetzt und - damit auch ja keine Missverständnisse entstehen können - darüber hinaus auch noch von ein paar Klookschietern penibel übersetzt und erklärt, damit niemand mehr als Klütenkopp durchs Leben gehen muss.

Am "Blaffer" - siehe Fotos - zum Beispiel kann man dieses Prinzip ganz gut erklären: Eigentlich ist der Blaffer ja ein großer Hund, der bellt. Im täglichen Sprachgebrauch des gemeinen Plattschnackers ist der Blaffer natürlich ein vorlauter Prahlhans, der vorgibt, mehr zu sein, als er wirklich ist. Eine halbe, eher Viertelportion eben, auf dessen wüstes Gekläff es nur eine Antwort geben kann: "Ick warr di Blaffer glicks mol 'n Hamborger Botterbrot geven, dat di dat Muul schüümt" - eine Maulschelle vom Feinsten.

Doch genau genommen ist dieser ebenso ungewöhnliche wie auch praktische Kalender ein künstlerisch anspruchsvoller Fotoband. Jedes Motiv wurde in mehreren Schritten bearbeitet, um dem Kalender den besonderen 'Look' zu geben." Das Layout ist in großen Teilen in Handarbeit entstanden, so etwa der komplizierte Linoleumschnitt für die Kapitelüberschriften.

Fluchen und Schimpfen ist übrigens ein wichtiger Bestandteil aller Kulturen, in denen die verbale Kommunikation einen hohen Stellenwert genießt. Etwa fünf Prozent aller Unterhaltungen am Arbeitsplatz (und zehn Prozent aller Gespräche in der Freizeit) beinhalten Fluchen und Schimpfen. Auf irgendwen und irgendwas, und das weltweit. Auch im angeblich so sprachfaulen Norden, wo einige Flüche und Bezeichnungen geradezu romantische, verklärte (und nicht zuletzt fantasievolle) Züge aufweisen: Wer hätte beispielsweise gedacht, dass mit "Kniep-oors" - wörtlich "Kneifarsch" - eine miserable Köchin bezeichnet wird, bei der es in 'n Kookputt utsüht as Swienschiet mit Dill." Dass ein "Restensuper" ein nachtschwärmender Schmarotzer ist, der anderen Gästen in den Kneipen die halb vollen Gläser leert: So 'n Scharnökel wöör ick mi op 'n Dom för Geld nich ankieken!" Willkommen im geheimnisvollen Reich der "Malediktologie"!

Das Komplizierte an dieser noch recht jungen Sprachwissenschaft, lateinisch "der Lehre vom Schlechtreden", ist die unumstößliche Erkenntnis, dass je nach Volk, Volksgruppe oder Stamm - und dementsprechend natürlich auch nach Region - ein Fluch oder eine Beschimpfung zwar mit denselben (oder zumindest sehr ähnlichen) Wörtern gebildet werden, aber eine dafür gänzlich unterschiedliche Bedeutung besitzen können. Ein Beispiel: Während ein fröhliches "Du Hund, du!" zwischen Ost- und Nordsee zumeist mit einem Grinsen beantwortet wird, würde ein derart beleidigter Russe mindestens zum Knüppel greifen, wahrscheinlicher zur Kalaschnikow. O ja, Flüche haben ihre Tücken, und manchmal klingen sie sogar gröber, als man denkt, wie etwa das lustvolle "Klei mi ann Mors": Diese Aufforderung hat nur sehr entfernt mit dem berühmt-berüchtigten (und justiziablen!) Götz von Berlichingen-Zitat zu tun. Denn zwischen "kratzen" und "lecken" besteht ein Unterschied. Ein befreiender Stuhlgang für die Seele sind beide Varianten trotzdem. Denn längst ist wissenschaftlich bewiesen, dass Fluchen und Schimpfen dem Seelenheil guttut.

Beides ist als therapeutischer Weg geeignet, um innere Spannungen und Erregungen zu lösen und abzubauen. Anders gesagt: fluchen und schimpfen ist für die Gesundheit mindestens so wichtig wie weinen oder lachen. Daraus folgt beinahe zwangsläufig, dass es sich mit - angemessenen - Flüchen und Schimpfereien generell leichter leben lässt: Ein kreativer und lustiger Fluch trägt viel zur Entspannung einer Situation bei, was mit dem ersten norddeutschen Schimpfkalender "Schiet di Wat" eindrucksvoll bewiesen wird.

Den norddeutschen Schimpfkalender "Schiet di wat" gibt es in guten Buchhandlungen für 17,95 Euro und online unter abendblatt.de/shop