Die Folgen der Finanzkrise untergraben das Vertrauen in das politische System

Wenn über die Folgen der Schuldenkrise diskutiert wird, sind Experten schnell mit Zahlen zur Hand: Sie jonglieren mit gigantischen Milliardensummen, die im Falle eines Falles beim europäischen Steuerzahler hängen bleiben. Anlageberater diskutieren die Folgen für die Geldanlage, Ökonomen die Konsequenzen für die Volkswirtschaften. Man sollte dem Bundespräsidenten Christian Wulff dankbar sein, dass er nun auf tiefer reichende Folgen für die Gesellschaft hinweist: Immer häufiger, so kritisiert der Niedersachse, träfen Politiker eilig weitreichende Entscheidungen kurz vor Börsenöffnung, anstatt den Gang der Dinge längerfristig zu bestimmen. "Dies trifft unsere Demokratien in ihrem Kern", warnt Wulff.

Tatsächlich haben die vergangenen Jahre eine atemberaubende Erosion der Macht von Politik und Parlamenten ausgelöst. Längst sind die Finanzmärkte die fünfte Macht im Staate - die Kurse bewegen nicht nur die Politik und lenken ihre Entscheidungen, sondern die Politik handelt auch in vorauseilendem Gehorsam - sie will die "Märkte beruhigen", Gerüchte zerstreuen, Handlungsstärke demonstrieren.

Doch die Politik ist schwach, ja, sie wird geradezu zerrieben - auf der einen Seite wächst bei den Menschen die Sehnsucht nach einer politischen Lösung aller Probleme, auf der anderen Seite aber kann sie die immer größeren Erwartungen immer seltener erfüllen. Das trifft die Demokratie tatsächlich in ihrem Kern.

In der derzeitigen Schuldenkrise verfestigt sich der Eindruck, die Politik habe sich bei der ersten Rettungsmission verausgabt: Nach der Finanzkrise infolge des Zusammenbruchs der Investmentbank Lehman Brothers hielt sie die Weltwirtschaft und das Finanzsystem mit Billioneninfusionen am Laufen. Genau wegen der dadurch verschärften Verschuldungskrise nehmen die Märkte nun die Staaten in die Zange. Das logische Handeln vieler einzelner Investoren auf den Finanzmärkten hat in der Summe etwas Unlogisches, weil Selbstzerstörerisches.

Die derzeit beliebte Kritik an "den Märkten" aber greift zu kurz. Schließlich trägt die Politik Mitschuld. Es ist den Staaten nicht gelungen, 2008 in dem kurzen Moment der Stärke die Finanzmärkte endlich stärker zu reglementieren. Und die Politik hat schon in den Jahrzehnten zuvor in fast allen westlichen Demokratien der Schuldenkrise den Weg bereitet, weil sie schlecht gewirtschaftet hat. Spätestens seit Ende der boomenden Sechzigerjahre hielten zu viele Regierungen ihre Wähler mit Wohltaten, einem ausufernden Sozialstaat oder Steuersenkungen bei Laune - mehr auszugeben als einzunehmen galt als normal. Die Demokratie erkaufte sich ihre Zustimmung, die Gesellschaften gewöhnten sich an die Droge Schulden. Doch auch hier gilt - die Politik setzte um, was der Wähler wünschte.

Nun steht ein Paradigmenwechsel an, für Wähler wie Gewählte: Die Staaten müssen auf Entzug - und die Politik die Völker darauf einschwören. Statt Geschenke müssen viele demokratisch Gewählte in den kommenden Monaten Zumutungen und Einschnitte versprechen - und die Bürger mitziehen. Die Demokratie, an die wir Ansprüche zu stellen gewöhnt waren, stellt nun Ansprüche an uns.

Wie schwer und erschütternd dieses Umdenken ist, zeigen die Verhältnisse im taumelnden Griechenland: Fast neun von zehn Griechen sind inzwischen "unzufrieden damit, wie die Demokratie funktioniert". In Deutschland sind es schon 42 Prozent. In solchen Zeiten schlägt schnell die Stunde der Populisten, der Vereinfacher von rechts- wie linksaußen.

Zugleich aber wächst langsam die Bereitschaft zum Wandel: In den USA fordert der Meisterspekulant Warren Buffett Steuererhöhungen für sich selbst und andere Superreiche, in Frankreich schaltet die Elite sogar Anzeigen mit derselben Forderung. Sie alle ahnen: Die Staaten und die Demokratien werden noch gebraucht.