In meiner Hamburger Hauptkirche St. Katharinen wird in diesen Tagen tief gegraben. Im Zuge der umfangreichen Sanierungsmaßnahmen wird der rote Ziegelsteinboden im Kirchenschiff aufgenommen, und ans Licht kommen die tieferen Schichten dieser alten Kirche. Da stößt man auf alte Grabkammern, Glastropfen der im Krieg verbrannten Kirchenfenster und natürlich auch immer mal wieder auf einen vereinzelten Knochen.

Wie eine offene Wunde liegt die große Fläche vor mir. Schicht um Schicht, Stein um Stein wird abgetragen. Das ist nicht nur eine mühsame Arbeit. Die Bauleute und Archäologen müssen auch sehr behutsam vorgehen, um mögliche Fundstücke nicht weiter zu beschädigen.

Zwischen zerborstenen Grabplatten und unter Unmengen von Schutt, mit dem man nach dem Zweiten Weltkrieg die zerstörten Grabkammern gefüllt hat, finden die Archäologen plötzlich Reste barocker Figuren aus Gips und Marmor: eine zierliche Hand, ein lockengeschmückter Hinterkopf und ein wunderschönes, zierliches Frauengesicht. Gehört es vielleicht der Katharina, deren Namen unsere Kirche trägt?

Damit hatte niemand gerechnet. Im Gegenteil, viele Leute haben uns verständnislos angeschaut, als wir von den behutsamen Grabungen berichteten: Das hält doch nur auf! Wen interessieren alte Steine? Ich gestehe, dass auch ich unter dem Zeitdruck der Baumaßnahmen manchen Seufzer gen Himmel geschickt habe, wenn Bohrungen gestoppt werden mussten, weil die Denkmalpflege zwischen dem Geröll etwas Kostbares vermutete.

Mittlerweile habe ich erkannt: Der Weg in die Tiefe ist zwar anstrengend und kostet Zeit, aber er lohnt sich. Es ist wie im menschlichen Leben: Wer sich die Mühe macht, einer Sache auf den Grund zu gehen, wer nicht an der Oberfläche verweilt, sondern sich in die Tiefenschichten seiner Persönlichkeit wagt, erlebt spannende Überraschungen. Nicht alles, was dann ans Licht kommt, ist rein und schön anzusehen oder auch gleich zu verstehen. Aber, wenn wir es behutsam freilegen, dann erzählt es uns Neuigkeiten über uns selbst. Mancher erfährt auf diese Weise von dem Grund des Glaubens - denn auch der liegt nicht an der Oberfläche, sondern in der Tiefe unserer Seele.

murmann@katharinen-hamburg.de