Die Ansprüche sind nicht länger bezahlbar. Die Antworten der Bevölkerung auf die Krise: mehr Volksentscheide, mehr Selbsthilfe

Die alternde Wohlstandsgesellschaft entlässt ihre Kinder - in eine relativ unsichere Zukunft. Die Bevölkerung erwartet realistischerweise keine größeren Wohltaten mehr vom Staat. Ein Ende des Anspruchsdenkens zeichnet sich ab. Vom 'Vater Staat' als Versorger und Verteiler heißt es, langsam Abschied zu nehmen. Ein Großteil der Bevölkerung traut dem Staat immer weniger, sich selbst immer mehr zu. Der Abschied von der Ellenbogengesellschaft steht bevor, das Ende der Ichlinge auch. Der Anspruchsstaat ist nicht länger bezahlbar, der Sozialstaat vielfach überfordert. Leistungs- und Zukunftsfähigkeit traditioneller Sozialsysteme erscheinen immer ungesicherter.

In diesen Zeiten des Übergangs wird der Bürger als Garant für soziale Leistungen wiederentdeckt und ein neues gesellschaftliches Leitbild kreiert: Bürger- und Zivilgesellschaft - jenseits von Geld und Gesetzen. Die Bürger nehmen sich wieder mehr selbst in die Pflicht und sehen ein: Wir müssen mehr zusammenhalten. Für Egoismus ist immer weniger Platz. Die Menschen rücken enger zusammen und machen die Erfahrung des Aufeinander-angewiesen-Seins. Nicht nur die Dienstleistungsgesellschaft, auch die Hilfeleistungsgesellschaft hat eine große Zukunft. Eine deutliche Mehrheit der Deutschen interessiert sich für eine bessere Gesellschaft und will mithelfen, diese zu schaffen. Eine alte Lebensregel erfährt eine Renaissance: "Hilf dir selbst, bevor der Staat dir hilft." Auf 2011 übertragen: Mehr Volksentscheide, mehr Selbsthilfe sind gefragt. Dies ist die konkrete Antwort der Bevölkerung auf die Krise der Politik. Bürger und Staat teilen sich wieder die Verantwortung. Das ist demokratischer Wandel, auch wenn vorübergehend das Gleichgewicht von Staat und Bürgern ins Wanken gerät.

In der internationalen Sozialforschung spricht man vom Beginn einer "postdemokratischen" Ära, in der zwar Wahlen abgehalten und Regierungen abgelöst werden, die reale Politik aber zunehmend woanders stattfindet - auf Straßen, Plätzen, in Bürgerversammlungen. Das kann (muss nicht) bedeuten, dass die wirkliche politische Macht immer mehr an Parteien vorbeigeht.

Auch in Deutschland ist die Gesellschaft in den Krisen solidarischer geworden - samt stärkerer Bürger. Ein selbstbewusster Bürgersinn zwischen Bürgermut und -wut bürgert sich ein: "So wollen wir leben!" In Konturen zeichnet sich eine Mitmachgesellschaft auf dem Weg zu einer neuen Bürgerdemokratie ab. Informelle Gruppierungen, Bürgerinitiativen und Volksbewegungen werden bedeutsamer. Immer stärker setzt sich ein Verständnis von Bürgerengagement durch, das soziale Netzwerke einbezieht - in Deutschland und der gesamten Welt, von der spanischen Forderung "Echte Demokratie jetzt" bis zum "Arabischen Frühling" im Nahen Osten. Diese Bewegungen werden politische Folgen haben und die Parteienlandschaft bald verändern.

An John F. Kennedys Wort fühlt man sich erinnert: "Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst." Was der amerikanische Pioniergeist seinerzeit geschaffen hat, das ist in Deutschland die Wiederaufbauleistung der Nachkriegsgeneration gewesen. Jetzt, in Zeiten weltweiter Krisen, sind erneut Bürgerleistungen, auch Anspruchsverzicht gefordert. Der Bürger ist wieder für das Mögliche, der Staat nur für das Nötige da. Über eines aber sollte sich der Staat klar sein: Wer die Bürger in schwierigen Zeiten ins Boot holt, wird sie in besseren Zeiten so schnell nicht vom Ruder verdrängen können.