Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall

Der Mann ist ein wenig in die Jahre gekommen. Eine stattliche Gestalt zwar, mit tadellosem Erscheinungsbild und höflichen Manieren. Aber das Gehör lässt allmählich etwas zu wünschen übrig, und so misslingt es dem 70-Jährigen, jedem einzelnen Wort in dem Prozess zu folgen. Doch er hat genug gehört, um ausreichend im Bilde zu sein, das große Ganze ist ihm längst bekannt, und die Rechtslage kennt er sowieso aus dem Effeff. Schließlich ist der Angeklagte Hans-Jürgen H., der hier im Prozess vor dem Amtsgericht sitzt, selber rechtlich hoch kompetent als promovierter Jurist und ehemaliger Anwalt. Einer, der einst auch Mörder und Kiezgrößen verteidigte und Unfallopfer erfolgreich in Schadenersatzprozessen vertrat. Der dann aber ganz tief abstürzte. Der Mandanten um horrende Summen brachte, Urkunden fälschte - und schließlich selber mehrfach als Betrüger verurteilt wurde. Ein Mann, der lange Jahre im Gefängnis gesessen hat.

Aus dieser Zeit stammt auch die jüngste Anklage gegen den Hamburger mit dem schlohweißen, adrett gescheitelten Haar, ein Vorwurf aus dem Jahr 2005, eine Altlast gewissermaßen. Nichts, was den Mann in dem makellos gebügelten nachtblauen Anzug wirklich aus der Ruhe bringen und den Habitus des selbstbewussten Juristen bröckeln lassen könnte. Um versuchten Betrug geht es diesmal und um eine vergleichsweise kümmerliche Summe. Geradezu "Peanuts" im Vergleich zu Beträgen, mit denen Hans-Jürgen H. früher jonglierte, und ein Bruchteil dessen, was er einst brauchte - für ein Leben mitYachten, Rolex und Rolls-Royce.

Bei dieser Vita scheint es ins Bild zu passen, dass diesmal Preziosen im Mittelpunkt des Verfahrens stehen, genauer gesagt Smaragde. Laut Anklage stellte der Ex-Anwalt einen Antrag auf Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die Justizvollzugsanstalt auf Herausgabe eines einst bei ihm sichergestellten Kästchens mit neun Smaragden im Wert von angeblich rund 14 000 Euro. Dabei soll er, so die Staatsanwaltschaft weiter, die finanzielle Unterstützung beantragt haben, obwohl er gewusst habe, dass die Steine wertlos sind.

Es könnte ein aufwendiger Prozess werden, ein Verfahren mit langwieriger Beweisaufnahme. Doch Hans-Jürgen H. hat kein Interesse an einem umfangreichen Verfahren und ringt sich schließlich zu einem Geständnis durch, das seine Anwältin für ihn abgibt. Danach sei es "möglich", sagt die Verteidigerin etwas vage, dass ihm damals "bewusst war", dass die Steine nicht den behaupteten Wert hatten. Und der Angeklagte selbst fügt noch hinzu: "Diese Steine gehören mir nicht." Er verzichte auf die Herausgabe. Er habe die Smaragde längst seiner Frau übereignet, erläutert er später freimütig auf dem Flur. Die Steine habe er einst von einem Bekannten bekommen - anstelle einer Bezahlung für einen Rolls-Royce-Oldtimer, den er an ihn verkauft habe.

Eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu zehn Euro verhängt der Richter wegen des versuchten Betrugs schließlich. Doch wirklich ruhig wird es um Hans-Jürgen H. in juristischer Hinsicht kaum werden. Der Ex-Anwalt, mit einem lebenslangen Berufsverbot belegt, bereitet eine Klage vor, erzählt er, und in seinen Augen funkelt die Streitlust. Diesmal will er Schadenersatz-Ansprüche geltend machen, weil er zu Unrecht in Sicherungsverwahrung gewesen sei. Die hatte das Landgericht im Jahr 2000 zusammen mit einer sechsjährigen Haftstrafe verhängt, wieder einmal wegen Betrugs, und Hans-Jürgen H. zugleich eine "amoralische Grundhaltung" attestiert. Dass er seit einigen Monaten trotzdem wieder in Freiheit ist, hat er einer Gesetzesänderung zu verdanken: Die Sicherungsverwahrung wegen Vermögensdelikten wie Betrug wurde mittlerweile abgeschafft.

Im Gefängnis hatte Hans-Jürgen H. den Ruf, extrem unbequem zu sein. Nicht dass er sich grob benommen hätte. Seine Waffe, um die Bediensteten der Justiz gehörig zu nerven, ist das geschriebene Wort. In unzähligen Eingaben beklagte er etwa die Umstände seiner Unterbringung und half auch Mitgefangenen in Rechtsfragen. Für sich selber hatte er unter anderem eine Waschmaschine und einen Trockner gefordert. Und er hatte beantragt, sich zwei Kaninchen anschaffen zu dürfen - als kuschelige Mitbewohner der Zelle.