Ein Kommentar von Tino Lange

Sex ist vernünftig. Tun wir doch nicht so, als wenn es nicht so wäre. Als gleiche das Leben einem "Tagesschau"-Sprecher - ohne Unterleib. Wer auch immer sich in diese Regionen vorwagt, zum Beispiel in literarischer Form, steht im Wortsinn entblößt da. Auch wenn Charlotte Roche auf 288 Seiten "Schoßgebete" ihr ganzes Leben zwischen zwei Buchdeckel klemmt: Am Ende kommt es ja doch nur wieder auf die Länge an. 20 Seiten über Oralverkehr, hoi!

Der herbeigeschriebene Aufreger wird zum herbeigeredeten "Skandal" mit Titelseiten und Talkshowauftritten. Dabei ist Sex doch so banal. Wir tun es wie essen, wir brauchen es wie atmen. Und doch: Würde Roche nicht 20 Seiten über Fellatio schreiben, sondern über das Verspeisen einer Salatgurke: Wen würde es interessieren? Selbst wenn man es ebenso unappetitlich aufschreiben würde wie Roches absurde, zumeist doch ziemlich abregende Detailfreuden.

Die Gesellschaft ist medial in höchstem Maße übersexualisiert und bekommt trotzdem offensichtlich nie genug. Was für eine Gier treibt uns da eigentlich an? Das nimmt uns doch ebenso die Freude wie der Versuch, Sex zu verdammen. Sowohl die Tabuisierung als auch die völlige Enthemmung führen am Ende nur zu Langeweile. Wir diskutieren und schreiben und verschwenden unsere Zeit ..., statt es einfach zu tun. Also Schluss mit der Debatte. Gehen Sie ins Bett. Und lesen Sie dort bloß kein Buch! Machen Sie lieber etwas Vernünftiges.