Die weltgrößte Modelleisenbahn der Brüder Braun feiert 10. Geburtstag. Ihre Mitarbeiter stellen die Weichen für eine Erfolgsgeschichte.

Speicherstadt. Aus einem großen Traum wurde Zug um Zug ein kleines Wunder. Als die Brüder Gerrit und Frederik Braun, ihr Vater Jochen und ihr Freund Stefan Hertz Ende des vergangenen Jahrtausends von ihrer Idee einer weltgrößten Modelleisenbahn erzählten und damit jährlich 100 000 Besucher in die Speicherstadt locken wollten, ernteten sie überall Gelächter. Sie ließen sich indes nicht beirren, entwarfen ein zweiseitiges Konzept - und erhielten zur eigenen Verblüffung einen Kredit über zwei Millionen Mark. Pioniergeist, Wagemut, Herzblut und die Begeisterung weiterer Modellbahn-Freaks waren die Basis dieses Coups: Seit dem 16. August 2001 hat Hamburg mit dem Miniatur Wunderland am Kehrwieder eine neue Attraktion.

Zum zehnten Geburtstag am kommenden Dienstag können die Macher in der Tat Erstaunliches vorweisen. Die jährliche Besucherzahl hat längst die Millionenmarke übersprungen, und aus dem Baby ist der zugkräftigste Tourismusmagnet der Hansestadt geworden. Rund ein Zehntel der Gäste kommt aus Hamburg, ebenso viele reisen aus dem Ausland, 80 Prozent aus anderen deutschen Landen an. Der Jahresumsatz hat zehn Millionen Euro überschritten; 230 Mitarbeiter kümmern sich um 1300 Quadratmeter Modellfläche. Der Geburtstag wird nach dem Gusto wahrhaftiger Paradiesvögel zelebriert: Auf kreative Weise wird in den Festtag hineingefeiert und die Nacht zum Tage gemacht. Geöffnet ist rund um die Uhr. Und da Hamburger Pfeffersäcke bei allem Idealismus auch ein einnehmendes Naturell haben, ist der Eintritt nur zwischen vier und fünf Uhr frei. Sonst muss normal gezahlt werden. Doch bevor es so weit ist, haben wir uns hinter den Kulissen der Wunderwelt umgeschaut und stellen sechs Mitstreiter aus unterschiedlichen Sparten vor.

Manfred Pechmann, 77, ursprünglich Großhandelskaufmann aus Leipzig, frönt seinem Hobby Modellbau derart intensiv, dass die Eisenbahnanlage daheim in Elmshorn abgeschafft wurde. Wird sonst zu viel. In der Regel schon vor Sonnenaufgang arbeitet der fingerfertige Sachse fieberhaft in seiner Werkstatt. Pechmanns Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Der Mann brütet, schmirgelt, bastelt, klebt und tuscht, dass es eine Freude ist.

Die Bahnhofsgebäude in Knuffingen sind fertig, nun geht's an die Auffrischung der HSV-Arena im Volkspark. Ordner in Originalfarben werden präpariert, Bäume neu gekrönt, neues Gras ausgelegt. "Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen und mich nach Herzenslust austoben", sagt der Modellbahn-Veteran, bevor er wieder in seiner Arbeit versinkt.

Welche Kleidung trugen die Menschen im Mittelalter? Welche Frisuren waren angesagt, welche Haustiere wurden gehalten. Für die geplante Sonderausstellung "Geschichte der Welt" muss auch das kleinste Detail stimmen - die Besucher haben ein gutes Auge und wissen eine Menge. Folglich büffelt und tüftelt Nathalie Plato umfangreich, bevor sie Hand an Figuren oder Gebäude legt. Historische Abbilder, so ihr Prinzip, müssen absolut korrekt sein.

Im Moment hockt die 40-jährige Hamburgerin auf dem Boden und studiert Lexika und Bildbände. Nebenan schlummert Mischlingshündin Ella. Und in den Holzregalen türmen sich Bastelmaterialien, eine halb fertige Dönerbude, Kunststoffrasen und gerade erst gelötete Blitzableiter. Bald werden sie irgendwo zwischen 3660 Häusern und Brücken sowie 228 000 Bäumen zu bewundern sein. Früher hat die kreative Tüftlerin Bühnenbild studiert und als Raumausstatterin gearbeitet, nun kann sie ihre Lust an Farben, Kunststoffen und Gestaltung auf vielfältige Art ausleben.

Von einer solchen Bastelstube könnte selbst Entenhausens Obererfinder Daniel Düsentrieb nur träumen: Stefan Dombrowski hat sämtliche Werkzeuge und Materialien in Reichweite, um seinen Geistesblitzen Folge zu leisten und Besonderes zu schaffen. Seit sieben Jahren hat der 36-jährige Röntgentechniker aus Bergedorf in der Elektronik-Ecke des Wunderlandes sein ganz persönliches Paradies geschaffen. Aktuell gestaltet er einen Prototyp, der die Entwicklung der Luftfahrt widerspiegelt. Als Einstellungstest musste der begeisterte Bastler einen Elefanten für Hagenbecks Tierpark entwickeln, der täuschend echt mit dem Kopf wackeln konnte. Stefan Düsentrieb bestand mit links. Mittlerweile hat der Mann ganz andere Ideen in die Tat umgesetzt. So wie den Tennisplatz mit Sportlern, die sich den Ball tatsächlich hin- und herspielen - derweil das Publikum La Ola initiiert, die Welle der Begeisterung. Auch die Traktoren, die um die Wette ziehen, sind in Dombrowskis Hirn entstanden. Ebenso wie die vom Publikum staunend quittierte technische Meisterleistung im Freibad: Zwei Halbstarke haben den Bikini einer jungen Dame geklaut, werfen sich das knappe Teil gegenseitig zu und lassen ihr Opfer ins Leere greifen.

Dafür können Kinder in der Schweiz ganz real zupacken: Auf Knopfdruck produziert die Schokoladenfabrik ein Minitäfelchen. Echt.

Außenstehenden ist es ein einziges Rätsel, wie man in diesem Tohuwabohu Ruhe und Überblick wahren kann. Seite an Seite mit fünf Kollegen sitzt Gitta Ahrndt im Leitstand des Wunderlandes und hat via Kamera und Monitor jeden Winkel der Anlage im Blick. Entgleist irgendwo in einem der acht Abschnitte der Modellbahn ein Zug, hat ein Auto seinen Geist aufgegeben oder die Steuerungsanlage kapituliert, muss sich einer der Profis aus dem Leitstand auf den Weg machen, um wieder für freie Fahrt zu sorgen.

300 per Computermaus schwenkbare Kameras übertragen die Szenerie der Fantasiewelt und kryptische Schaltpläne auf 70 Bildschirme. Und da sich der Leitstand inmitten des Areals befindet, staunen die Besucher direkt dahinter. Schlaue Kommentare oder alle möglichen Fragen bescheren Abwechslung: "Wann brennt das Schloss wieder?", "Wo ist das Klo?" oder "Wann fährt die 'Aida'?". Steuerfrau Gitta, von Haus her eigentlich Goldschmiedin, kommentiert das alltägliche Wirrwarr mit Humor: "Die Leute denken eben, wir spielen hier den ganzen Tag." Ein bisschen stimmt das ja auch. Angestellte wie Publikum eint das Faible für die surrende, blinkende und blitzende Bonsaiwelt.

Dabei verlangt mancher spontaner Einsatz die ganze Frau. Wenn zum Beispiel im Umfeld des sechs Meter hohen Matterhorns oder im 300 Quadratmeter großen Skandinavien Weichen falsch gestellt werden, ist bedächtiges Kraxeln angesagt. Trampeltiere haben keine Chance.

Wenn's um Gästebetreuung geht, führt an Lia Zimmermann kein Weg vorbei. "Chaos-Management" nennen die Kollegen den Job der 27 Jahre alten Mecklenburgerin treffend. So wie Mitte dieser Woche: Die Besucherkapazität von 800 Personen ist erreicht. Mehr finden keinen Zugang, sonst gehen im Miniatur Wunderland Überblick, Nahsicht und Spaß verloren. Der Rest muss auf Einlass warten; 210 Minuten sind es im Moment.

Clevere gucken vorher im Internet nach den aktuellen Stoßzeiten. Andere lassen sich einen Schnell-Pass ausstellen: Zu einem entsprechend späteren Zeitpunkt an diesem Tag gibt es garantiert sofort Zutritt. Zur Überbrückung werden vergünstigte Stadt- oder Hafenrundfahrten verkauft.

Dem schmuddeligen Ferienwetter sei Dank, wird an diesem Mittwoch mit 5500 Zuschauern ein absoluter Rekord verbucht. Auch wenn die Öffnungszeiten bis Mitternacht verlängert werden, muss die Hälfte der Gäste vor der Tür bleiben.

Die Wartenden versucht die quicklebendige Restaurantfachfrau Lia so gut wie möglich bei Laune zu halten. In Pappbechern reicht sie Gratisdrinks, und in der Spielecke freuen sich die Kinder über kostenloses Speiseeis. Hinzu kommen Fragen, Fragen, Fragen.

Zur Abwechslung eilt die professionelle "Schlangenbändigerin" zur Hochzeit mittags in das Bistro: Essenausgabe oder Kasse. Am Abend kann sich Töchterchen Emilie, 3, auf unterhaltsame Geschichten von einem aufregenden Arbeitstag freuen.

Als Neal Bett im vergangenen Jahr in England von seiner deutschstämmigen Mutter von der größten Modelleisenbahn der Welt in Hamburg hörte, bewarb er sich spontan und machte sich wenig später auf den Weg von Bath in die Speicherstadt. Gemeinsam mit elf Kollegen verantwortet der gelernte Elektriker mit der handfesten Note Umbaumaßnahmen und Transporte, die Feingefühl verlangen.

Zu tun ist jede Menge: Bisher investierten die Betreiber rund zwölf Millionen Euro in die Anlage; bis 2020 sollen weitere acht bis zehn Millionen Euro folgen. Zug um Zug kommen Italien, Frankreich, England und Afrika hinzu. Staatliche Zuschüsse gibt es nicht. Irgendwann sollen Bistro, Shop und Betriebsräume in den zweiten Stock des Speichers verlagert und die Miniaturwelt auf die dritte und vierte Etage ausgedehnt werden.

Allein für das Untergerüst der Schweiz wurden 15 Tonnen Stahl verbaut. Die Nordostsee beinhaltet 33 000 Liter Wasser. Und das Parkhaus P4 am Airport Knuffingen hat 65 000 Euro Baukosten verschlungen. "Packen wir es an!", meint der 25 Jahre alte Brite nach einer kurzen Pause. Das Funkgerät signalisiert, dass unten Maloche wartet. Im Trockenbau müssen noch ein paar Wände gezogen werden.