Die beiden Kraftprotze Bulle und Bär sind historisch eng mit den Finanzjongleuren von heute verbunden

Der Mensch greift gern auf Tiere zurück, wenn er mal wieder was verbockt hat. So ist die Schlange schuld, dass wir als Nachfahren von Adam und Eva nicht mehr im Paradies leben dürfen. Und der zitierte Sündenbock wurde früher, beladen mit allen Verfehlungen seiner Eigner, mit Stockschlägen in die Wüste geschickt - im Glauben, mit ihm auch die aufgelastete Schuld aus dem Blick zu verlieren.

Aus ähnlich abstrusen Gründen müssen auch Bulle und Bär zu ihrem Auftritt vor den Börsen der Welt gekommen sein. Um ihre Entstehungsgeschichte als Börsentiere ranken sich viele Theorien. Was haben die beiden dort eigentlich zu suchen?

Bär und Bulle präsentieren sich dem tierfreundlichen Laien in gleich beeindruckender Stärke. Das macht auch vor der Börse Sinn. Denn während der Bär für fallende Kurse steht, muss der Stier für den Höhenflug im Wertpapierhandel herhalten. Die Begründung klingt ein wenig hergeholt. Aber wer wollte gerade in diesen finanziell turbulenten Tagen nur mit dem Verstand die internationale Börsenwelt erklären? Einem ausgewachsenen Bären, der aufgerichtet drei Meter erreicht, bleibt nichts anderes übrig, als seinen Gegner mit kräftiger Tatze von oben herab zu attackieren - ebenso haut er machtvoll die Kurse gen Keller; der Stier dagegen nimmt sein Gegenüber von unten mit Schwung auf die Hörner - und befördert so auch die Börsenwerte gen Himmel. Tierische Verhaltensweisen, die der Finanzwelt bekannt vorkommen.

Da Bulle und Bär schon seit dem 17. Jahrhundert, zur Urzeit der Londoner Börse, für solcherlei Auf und Ab stehen, könnten sie damals direkt vom Themse-Ufer entliehen worden sein. Dort wurden nämlich Schaukämpfe zwischen echten Bullen und Bären ausgetragen, auf deren Ausgang gewettet wurde. Auch dies ein Verhalten, das Börsianern nicht fremd ist.

Vergleichbar den sogenannten Leerverkäufen - also dem Handel mit Waren oder Papieren, über die man zur Verkaufszeit gar nicht verfügt. Er ist kein Makel der Moderne (den gerade weitere vier EU-Länder verbieten wollen). Schon vor 300 Jahren nutzten Spekulanten in der Hoffnung auf fallende Preise diese Methode. Ihr Prinzip: heute schon teuer verkaufen, was man sich morgen erst billig beschaffen will. Oder: den Pelz des Bären verscherbeln, bevor dieser erlegt wurde. Das könnte Börsianern den ersten Anstoß gegeben haben, beim Spekulieren an das dicke Fell des bald Erlegten zu denken.

Auf jeden Fall kommen "Bull" und "Bear" aus dem englischen Sprachraum ins good old Germany. So stehen sie heute als Miniaturausgaben in Plastik auf Börsianer-Schreibtischen vor dem Monitor oder lebensgroß in Bronze vor der Börse in Frankfurt, dem wichtigsten Handelsplatz Deutschlands. Das von dem Bildhauer Reinhard Dachlauer geschaffene Duo, das seit 1998 die Frankfurter Börse bewacht, ist ein Dauerfilmmotiv beim Thema Kursentwicklung. Manchmal muss es auch als Wutobjekt herhalten. So verhüllten Anfang des Jahres erboste Milchbauern das Kunstwerk. Denn die optische Kraftgleichheit der beiden, die auch Angebot und Nachfrage symbolisieren, gerät bisweilen aus dem Lot. So wollten die Bauern keine sinkenden Milchpreise trotz guter Marktlage hinnehmen und rächten sich - auch symbolisch - am Börsengetier.

Dass die beiden außen vor stehen, macht ebenfalls Sinn. Was hätten zwei so kratzige Gesellen "auf dem Parkett" zu suchen? Dort, wo Broker (Wertpapiervermittler) und Trader (Finanzmarkthändler) auf abgewetzten Holzdielen eines Börsensaals ihrem hektischen Treiben nachgehen? Diese tatsächlichen Handelsorte nur für Zutrittsberechtigte sind heute immer mehr ein Bild von gestern. Denn der Kursmakler, der Angebot und Nachfrage leibhaftig überblickt, weicht dem noch schnelleren und strapazierfähigeren Computer. Zentrale Rechnersysteme wie Xetra (Exchange Electronic Trading) spinnen ihr Netz übers Internet und über Standleitungen. In Deutschland werden derzeit schon mehr als 80 Prozent der Aktienverkäufe online abgewickelt.

Die Börse erfindet sich so neu. Aber Bulle und Bär schlagen weiter zu.