Innensenator Michael Neumann (SPD) spricht im Abendblatt über die zunehmende Gewalt gegen Polizisten, den Verlust von Werten und die Folgen.

Hamburg. Polizisten fühlen sich immer häufiger nicht ernst genommen, verspottet, attackiert. Sie erleben ihre "Kundschaft" oft als aggressiv und gewaltbereit. 2010 wurde umgerechnet nahezu jeden Tag ein Beamter angegriffen und verletzt. Das sind nur einige Ergebnisse einer Studie, die erst kürzlich dem Führungsstab der Polizei vorgestellt worden ist. Doch was unternimmt die Polizeiführung? Was die Politik? Im Interview mit dem Abendblatt fordert Innensenator Michael Neumann (SPD) von der Polizeiführung ein Handlungskonzept. Und die Hamburger sollen Zivilcourage zeigen und bei Respektlosigkeit einschreiten.

Hamburger Abendblatt: Dass Polizisten Opfer von Gewalt werden, scheint in Hamburg zum Alltag zu gehören.

Michael Neumann: Wir beobachten, dass die Gewalt und die Respektlosigkeit gegenüber Polizisten in den vergangenen zehn Jahren leider stark zugenommen haben. Sie werden beschimpft, bepöbelt und angegriffen. Dass die Beamten in solchen Situationen die Fassung bewahren, bewundere ich. Ich weiß nicht, ob ich immer so cool reagieren würde. Nicht nur gegenüber Polizisten, generell wird Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes gegenüber ein Ton an den Tag gelegt, der einen sprachlos macht. Diese verbalen Attacken sind eine große Belastung für die Betroffenen.

Wie erklären Sie sich die zunehmende Gewalt gegen Beamte?

Neumann: Einer der Gründe ist sicherlich, dass sich unsere Gesellschaft allein über ökonomische Maßstäbe definiert. Was bringt ein Mensch? Was leistet er? Fragen wie diese stehen im Vordergrund. Ein respektvoller und höflicher Umgang ist nicht mehr selbstverständlich. Respektlosigkeit beginnt zum Beispiel beim Parken in zweiter Reihe, geht über das Zuparken von Feuerwehreinfahrten bis zum Bepöbeln und Beleidigen von Polizisten. Der Höhepunkt ist erreicht, wenn Beamte körperlich attackiert werden. Wenn nichts mehr Respekt genießt, hat irgendwann auch nichts mehr einen Wert.

In der Studie der Polizei berichten Beamte von Frust und Enttäuschung über den fehlenden Respekt. Was will Hamburg jetzt für seine Polizisten tun?

Neumann: Diese interne Befragung ist die Grundlage für den Polizeipräsidenten, mir Vorschläge zu unterbreiten, wie wir die Situation verbessern können. Aber diese Vorschläge gibt es noch nicht, da die Befragung noch ausgewertet wird. Was in der Praxis möglich ist, werden wir dann in Angriff nehmen. Zudem soll die Ausbildung der Polizisten noch weiter optimiert werden. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass nicht die Polizei das Problem ist - das Problem sind die Menschen, die Beamten gegenüber gewalttätig werden. Zudem kann ein gesamtgesellschaftliches Problem nicht allein von der Polizei gelöst werden.

Wer ist noch gefragt?

Neumann: Jeder einzelne Bürger ist dazu aufgefordert, Zivilcourage zu zeigen. Wenn jemand mitbekommt, dass sich Mitmenschen respektlos verhalten, sollte er den Mut haben, diese darauf hinzuweisen. Wir haben ein paar Regeln in unserer Gesellschaft - an diese sollte sich jeder halten, damit ein Miteinander funktioniert. Zudem sollten sich Erwachsene ihrer Vorbildfunktion bewusst sein. Wenn ein Vater in einer Verkehrskontrolle einen Polizisten vor den Augen seines Sohnes bepöbelt, wird sich der Junge später vermutlich genauso respektlos verhalten.

Was ist bislang geschehen, um dem Trend entgegenzuwirken, dass Gewalt gegen die Polizei ausgeübt wird?

Neumann: Der Bundestag hat beschlossen, die Höchststrafe für Widerstand gegen Polizeibeamte von zwei auf drei Jahre Haft zu erhöhen. Ich hoffe, dass die Richter dieses Strafmaß künftig auch nutzen. Gewalt gegen Polizisten ist kein Kavaliersdelikt. Repression allein hilft jedoch nicht, die Situation zu verbessern. Wir müssen auch Kopf und Herz der Menschen gewinnen, wenn wir Respekt und Höflichkeit im Umgang miteinander stärken wollen.