Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall

Ein inniger Seufzer, der aus tiefstem Herzen zu kommen scheint. Dazu die verhuschte Haltung und die zaghafte Stimme. Petra S. weiß nur zu gut, dass sie es vermasselt hat, und zwar gründlich. Dass sie es sich selber eingebrockt hat, hier wieder sitzen zu müssen, in demselben Amtsgericht, vor demselben Richter wie damals.

"Das ist eine ziemliche Chance, die Sie da kriegen. Versemmeln Sie sie nicht", hatte der Richter der zierlichen Frau seinerzeit mit auf den Weg gegeben, als er ihr vor knapp anderthalb Jahren trotz Rauschgiftbesitzes noch einmal die Chance einräumte, sich zu bewähren. Schon beim letzten Termin hatte er der Angeklagten angedroht, dass sie riskiere, in Haft zu kommen, erinnert eben jener Amtsrichter jetzt angesichts ihrer neuen Straftaten. "Es sieht fast so aus, als hätten Sie sich für das Gefängnis beworben."

Ist es bei Petra S. Desinteresse? Unbelehrbarkeit? Oder gar das Gefühl, sie könne sich alles erlauben, sei unantastbar? Offenbar nichts von alledem. Das schlechte Gewissen steht der Hamburgerin ins Gesicht geschrieben, dazu die Enttäuschung über sich selbst. Es sieht so aus, als habe ihre Kraft nicht gereicht, um standhaft zu bleiben. Die Finger von den Drogen zu lassen. Und so wirft die Staatsanwaltschaft der 55-Jährigen vor, Betäubungsmittel besessen und hergestellt zu haben. Neun Pflanzen Marihuana züchtete sie laut Anklage in der Abstellkammer ihrer Wohnung, zwei weitere auf dem Balkon. Für 1761 Joints hätte das gereicht, hat ein Sachverständiger ermittelt. "Es war so ein Gedanke, dass ich mit dem Anbau für ein Jahr ausgesorgt hätte", sagt Petra S. matt. Die Drogen hatten ihr helfen sollen, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Das bisschen Ordnung, das sie in ihr Leben gepfercht hatte, nicht wieder entgleiten zu lassen. In der Biografie der Petra S. mag dieser Gedanke logisch sein, zwingend geradezu.

So wie vor rund zwei Jahren, als sie schon einmal erwischt wurde, weil sie Marihuana-Pflanzen in ihrer Wohnung züchtete. Die Motive waren dieselben wie heute: Von ihrer früheren jahrelangen Abhängigkeit von Heroin erzählt sie. Von dem langwierigen Entzug, dem mühsamen Wiederaufrappeln, wieder Fuß fassen mit Beruf, Beziehung, Bodenständigkeit. Doch dann starben innerhalb von Monaten ihre Mutter, ihre Geschwister, ihr Lebensgefährte. "Seitdem hatte ich starke Depressionen", ringt die gelernte Altenpflegerin um Verständnis, zudem habe sie unter zermürbender Schlaflosigkeit gelitten. Ein Bekannter habe ihr erzählt, dass es helfe, Marihuana zu rauchen. Um nicht in das Milieu am Hauptbahnhof zu geraten und womöglich wieder in die Szene abzugleiten, habe sie daraufhin die Pflanzen selber angebaut. Sie wolle künftig die Finger von den Drogen lassen, hatte sie dem Amtsrichter seinerzeit gesagt, als der sich entschlossen hatte, ihr noch eine Chance zu geben und die Strafe von 14 Monaten Haft zur Bewährung auszusetzen.

Alles leere Versprechungen, nach dem, was die neue Anklage auflistet? "Unser Treffen damals hatte wohl keine Wirkung", bilanziert der Richter jetzt. Doch, sie habe "ein wahnsinnig schlechtes Gewissen gehabt", entschuldigt sich Petra S. Doch obwohl sie sich nach dem vorigen Urteil habe "ins Leben stürzen wollen", habe sie herbe Rückschläge hinnehmen müssen. "Auf meine Job-Bewerbungen bekam ich nur Absagen, ich konnte nicht so, wie ich gewollt hätte." Dann hätten ihr wieder Depressionen das Leben schwer gemacht. "Ich war am Boden zerstört, habe mit Selbstmordgedanken gekämpft." Ihr Leidensdruck sei so groß gewesen, dass sie wieder Marihuana angebaut habe, um endlich einmal durchschlafen zu können. Doch seit dem vergangenen Sommer, als sie erneut von der Polizei mit ihren Marihuana-Pflanzen erwischt wurde, habe sie ihr Leben langsam in den Griff bekommen. Mit Therapien, mit einem Minijob in ihrem erlernten Beruf, mit Aussicht auf Festanstellung. Kleine Schritte, sicher, die jedoch riesige Wirkung haben. "Jetzt habe ich das Gefühl, mit beiden Beinen wieder im Leben zu stehen." Sie habe sich weiter stabilisiert, argumentiert Petra S. "Ich plane minutiös, um nicht wieder zum Kippeln zu kommen."

Zwar habe die Angeklagte "ein gehöriges Quantum an Unbelehrbarkeit" gezeigt, urteilt das Schöffengericht, trotzdem erkennt es auf ein Jahr Haft - mit Bewährung. Dass die noch einmal gewährt werde, könne "wirken wie ein Freibrief", mahnt der Richter. "Das wäre aber ein fataler Eindruck." Mit ausschlaggebend sei, dass Petra S. ihr Leben offenbar gut in den Griff bekommen und sogar die Chance auf eine Festanstellung habe. "Es erscheint uns die schlechtere Alternative, wenn die Angeklagte nach mehreren Jahren verbüßter Haft von noch weiter unten startet. Allerdings erwartet das Gericht mehr Anstrengungen als beim letzten Mal." Vor dem Gerichtssaal umarmt Petra S. eine Freundin, in ihren Augen schimmern Freudentränen. Doch noch ist es nicht ausgestanden. Die Staatsanwaltschaft hat Berufung eingelegt.