Die Mutter soll ihre vier Kinder eine Woche ohne Nahrung eingesperrt haben. Jugendamt untersagt zuständiger Mitarbeiterin die Aussage.

Hamburg. Es war ein Bild der absoluten Verwahrlosung, das sich der Polizei im Juli 2009 in einer Wohnung in Langenhorn bot: In den Kinderzimmern türmten sich Berge von Wäsche und Müll, die Fenster waren mit dreckigen Handtüchern verhangen, die Matratzen auf den Boden waren urindurchtränkt. Ein kleiner weißer Hund lief beim Anblick der Menschen panisch immer wieder mit dem Kopf gegen eine Scheibe. Auf einem Tisch entdeckten die Beamten noch einen kleinen Zettel. In krakeliger Kinderschrift stand darauf: „Liebe Mama, Oma hat uns abgeholt. Bitte melde dich.“

Eine Woche lang sollen vier Kinder im Alter von zwei, vier, zehn und zwölf Jahren dort allein ausgeharrt haben. Ihre 31 Jahre alte Mutter ließ sie nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in den verdreckten Zimmern ohne Lebensmittel zurück. Dafür muss sie sich seit Dienstag vor dem Amtsgericht Hamburg-Mitte verantworten.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihr Vernachlässigung der Fürsorgepflicht und Misshandlung von Schutzbefohlenen vor. Laut Anklage wollte die 31-Jährige mit ihrem Freund ein neues Leben beginnen. Dabei soll sie es dem Zufall überlassen haben, was mit den Kindern geschah. Die Mutter der Angeklagten fand die vier Kinder schließlich und alarmierte die Polizei.

Der Prozessauftakt brachte jedoch wenig Klarheit, was wirklich in den Zimmern passiert war. Die junge Frau auf der Anklagebank, die insgesamt sechs Kinder von fünf Vätern hat, stritt die Vorwürfe ab: „Ich habe immer alles für meine Kinder gemacht.“ Lebensmittel seien immer da gewesen, auch den Zustand der Wohnung konnte sie sich nicht erklären. Ihr damaliger Noch-Ehemann und Vater des jüngsten Kindes sollte auf die Kinder aufpassen, sagte sie. Nur drei Tage wollte sie wegbleiben, um ein wenig Ruhe zu haben. Danach sei sie aus Angst nicht zurückgekehrt. Ihr Noch-Ehemann soll ihr wegen der neuen Beziehung gedroht haben.

Die Mutter der 31-Jährigen, auf deren Aussage sich die Anklage eigentlich stützte, sagte überraschenderweise nun vor Gericht, sie habe damals die beiden ältesten Kinder die Woche über zu sich genommen. Da sei sie vorher wohl falsch verstanden worden. Ob sich wirklich der Noch-Ehemann, wie er selbst im Zeugenstand sagte, in der Zwischenzeit um die beiden Kleinsten gekümmert hat und wo die Mutter die Woche über war, blieb auch nach Ende des ersten Verhandlungstags unklar.

Zur Klärung der Sachlage sollte eine Mitarbeiterin des Jugendamtes beitragen. Jedoch gab ihr das Amt nicht die Erlaubnis, vor Gericht auszusagen. „Eigentlich sollten zwei Behörden ja zusammenarbeiten“, kommentierte die Richterin. Zum nächsten Verhandlungstag will sie die Akten des Jugendamtes einsehen. Wenn nötig, müssten die Papiere sogar vom Gericht beschlagnahmt werden.

Seit 2008 soll sich das Amt um die Familie gekümmert haben, laut Aussage der 31-Jährigen kamen jede Woche zwei Mitarbeiter in die Wohnung. Warum die Zustände nicht schon vorher bemerkt wurden und die Behörde eingegriffen hat, ist ebenfalls unklar. Das Jugendamt war am Dienstag nicht zu erreichen.

Die Kinder seien durch das Erlebte bis heute traumatisiert, schilderte eine Zeugin dem Gericht. Neben starken Verlustängsten habe auch die Mangelernährung Spuren in ihrer Psyche hinterlassen, sagte sie. Eines der Kinder soll demnach immer wieder Joghurtbecher und ähnliches verstecken. Das jüngste Kind wolle nicht aufhören zu essen.

Bei den Schilderungen zeigte die angeklagte Mutter keine Regung. Bis heute hat die 31-Jährige keinen Kontakt zu ihren Kindern, das jüngste ist gerade sechs Monate alt. „Es geht ihm gut“, informierte sie die Richterin. Ein Urteil wird Ende September erwartet.