Erst Bäckerei Hesse, dann Feinkost Busch, nun schließt Friseur “Die Schere“. An der Einkaufsstraße in Othmarschen endet Ära.

Othmarschen. Kleine Schilder künden bereits vom Ende. "Verkauft" steht an den massiven Wandspiegeln, am Schreibtisch und an einem kleinen Gemälde, das stets in Sichtweite der Kunden hing. Bis auf einen Kunstdruck von Andy Warhol ist fast das gesamte Inventar des Friseur- und Trödelladens "Die Schere" neuen Besitzern versprochen. Hans und Heidi Weber werden ihr Geschäft Ende August wohl besenrein verlassen.

Nach 35 Jahren schließt das Ehepaar seinen Salon an der Straße Hochrad. In direkter Nachbarschaft zum Jenisch-Park frisierten die beiden viele Jahre die Häupter von mehr oder weniger bekannten Persönlichkeiten aus Othmarschen und Klein Flottbek, ihre Wohnung lag nur ein Stockwerk über dem Laden. Nun wollen sie die gediegene Umgebung hinter sich lassen, ihr Leben ins Private verlagern und aufs Land ziehen. Dass mit ihnen das letzte Stück eines Miniaturzentrums in Othmarschen geht, deutete sich an.

Vor 20 Jahren gab es an der von Grün gesäumten Straße noch die Bäckerei Hesse und den Feinkostladen Busch. Für viele in der Umgebung war es ein kurzer Weg, Waren des täglichen Bedarfs zu kaufen. Irgendwann machte dann die Bäckerei zu, zehn Jahre später verschwand auch der Feinkostladen - und nun endet mit dem Weggang des Friseurehepaares eine kleine Ära in dem beliebten Wohngebiet.

"Aber wir gehen nicht im Groll. Es war an der Zeit, mit diesem Lebensabschnitt abzuschließen und einen neuen zu beginnen", sagt Hans Weber, während er Hand an den Nacken eines Kunden legt. Er werde die "Knuddelkunden", auf die man sich gefreut habe, vermissen. Aber in der gut betuchten Gegend sei es nun mal so, dass die Stammklientel in den vergangenen Jahren in Residenzen gezogen oder schlicht verstorben und die nachfolgende Generation häufig etwas wankelmütiger in der Wahl ihres Barbiers gewesen sei. Ein Drittel weniger Zulauf sei die Folge gewesen, was zusammen mit dem anstehenden Verkauf des ehemaligen Postamts und der Tatsache, "dass wir beide über 60 Jahre alt sind", den Ausschlag für die Geschäftsaufgabe gab.

Ein Phänomen, das sich immer wieder in Hamburg beobachten lässt. Einzelhändler und kleine Geschäfte müssen wegen wachsender Filialistenkonkurrenz oder mangelnder Kundentreue aufgeben. Und erst wenn sie weg sind, wird ihr Fehlen bedauert. "Dabei haben es die Kunden zuvor selbst in der Hand", sagt Friseurmeister Hans Weber, ohne wehmütig oder verbittert zu klingen. Er habe den Lauf der Dinge schon vor zwölf Jahren akzeptiert, als er sich ein zweites Standbein mit dem Internethandel antiquarischer Bücher eröffnet hat.

Mit Hans Weber geht dennoch der vielleicht einzige Philosoph unter Hamburgs Friseuren. Seine Liebe zu Büchern und die in dieser Gegend hauptsächlich "Kopfarbeit" verrichtende Kundschaft hätten jedenfalls dafür gesorgt, dass ihm eine anständige Allgemeinbildung angedieh. Deshalb könne er beim obligatorischen Friseurplausch zwar nicht über Fußball und Autos referieren - diesbezüglich halte er es mit Churchill und seinem "no sports". Aber die deutsche Geschichte ("mein Steckenpferd"), aktuelle Kunstausstellungen, Segelfachbegriffe oder Architektur seien immer drin gewesen. "Und wenn es sein muss, schneide ich die Haare auch nach dem Gusto Alexander des Großen", sagt Hans Weber. Der habe einmal auf die Frage, wie er seinen Schopf frisiert haben wolle, geantwortet: schweigend. Überhaupt gehöre es zum Handwerk, den Mund halten zu können. Jedenfalls gegenüber Dritten. Das sei alte Schule, die sich der "geborene Hamburger" antrainiert hat.

Das Hochrad wird jetzt, wenn der Trödel und die Friseurutensilien ausgeräumt sind, ein wenig ärmer - es bleibt ein Tierarzt. Aber auch das Umfeld habe sich eben verändert, sagt der Friseurmeister. Dann kassiert er 19 Euro von seinem aktuellen Kunden, der gleich einen neuen Termin macht. Bevor der Laden Ende August schließt, will Jürgen Scheele aus Nienstedten unbedingt noch einmal die Haare von Hans Weber geschnitten bekommen. Mehr Kompliment geht wohl nicht.