Sprechstunden und Hausbesuche auf Anforderung, organisiert über eine Zentrale, könnten Mediziner-Engpässe auf dem Land mindern

Ärztegedrängel in der Stadt, Ärztemangel auf dem Land. In den Ballungsgebieten 24 000 Mediziner zu viel, in ländlichen Regionen 800 zu wenig. Die Lektüre des neuen "Versorgungsstrukturgesetzes" zur Bekämpfung des Ärztemangels auf dem Land zeigt: Dem deutlichen Überangebot an Ärzten rückt die Politik nur halbherzig zuleibe. Die Maßnahmen, die mehr Mediziner aufs Land führen sollen, dürften das Ziel einer besseren Versorgung verfehlen. Zu wenig wurde in der heiß gelaufenen Debatte über die Bedürfnisse des Patienten gesprochen. Wie soll die Zukunft der Versorgung aussehen?

Angesichts des demografischen Wandels stehen wir vor völlig neuen Herausforderungen. Altersbedingte Erkrankungen wie Demenz oder Bluthochdruck werden zunehmen. Nach unseren Auswertungen muss etwa bis 2030 mit elf Millionen Menschen gerechnet werden, die an Diabetes leiden. Wir müssen also nicht nur gegen den Ärztemangel auf dem Land etwas tun, sondern benötigen eine Verschiebung im Fachärztebedarf. Wir brauchen weniger Kinderärzte, aber mehr geriatrisch ausgebildete Mediziner, die sich etwa mit Rheuma und mit Schmerzpatienten gut auskennen. Wir brauchen Ärzte, die sich - im besten Fall schon im Studium - insbesondere auf chronische Krankheitsbilder spezialisieren und Geduld und Einfühlungsvermögen für ältere Patienten mitbringen.

Für das Problem des Ärztemangels auf dem Land gibt es keine einfachen Antworten. Sicher ist nur, dass dieser nicht mit einer Geldflut oder Spezialangeboten für Landärzte behoben werden kann. Soziale, wirtschaftliche und kulturelle Standortfaktoren spielen eine ebenso wichtige Rolle bei der Entscheidung für oder gegen einen Arztsitz auf dem Land. Gesundheitspolitik kann aber nicht die Aufgaben etwa der kommunalen Wirtschaftsförderung übernehmen. Es wird nicht überall in Deutschland ein flächendeckendes Ärztenetz geben können. Umso wichtiger ist die Frage, wie man zumindest die Grundversorgung vor Ort gewährleisten kann.

Hier brauchen wir kreative Vorschläge. Drei Ideen:

1. Die Einrichtung einer bundesweiten Gesundheits-Hotline - unabhängig vom Wettbewerb der Krankenkassen. Unter einer einheitlichen Rufnummer erhalten Patienten rund um die Uhr Auskunft von Ärzten und medizinischem Fachpersonal.

2. Der Ausbau des Projekts "Schwester AGnES" (Arztentlastende, Gemeindenahe, E-Health-gestützte, Systemische Intervention): Wenn Krankenschwestern über bestimmte medizinische Qualifikationen verfügen, können sie Ärzte bei Hausbesuchen sinnvoll und zeitsparend unterstützen.

3. Die Einrichtung einer "Ärztezentrale", von der aus ein System von "Flying Doctors" aufgebaut wird, die zu Sprechstunden und Hausbesuchen auf die Dörfer fahren, könnte den Engpass mindern.

Was die überversorgten Ballungsgebiete betrifft, wird man um einschneidende Änderungen wie im Rest einer sich wandelnden Arbeitsgesellschaft nicht umhinkommen. Denn während sich in der globalisierten Welt der Arbeitsmarkt für die Arbeitnehmer stetig verändert und immer mehr Flexibilität mit Berufs- und Ortswechseln verlangt, ist die Arzt-Welt stehen geblieben: Fertig mit dem Studium, hat ein Arzt mit der Eröffnung seiner Praxis und der dauerhaften Zulassung die Gewissheit, dass er für die nächsten 30 bis 35 Jahre an diesem Ort mit dieser einmal erworbenen ärztlichen Kompetenz seinem Beruf nachgehen kann. Er besitzt sogar den Anspruch, seine Praxis - möglichst gewinnbringend - zu verkaufen. Der Abbau des kostspieligen Überangebots in den Städten könnte nicht unerhebliche Mittel freisetzen, mit denen man neue Versorgungsformen auf dem Land finanzieren könnte.

Die veränderte Welt fordert ein Umdenken: Dazu gehören Anpassungen bei der Aus- und Weiterbildung, aber auch Flexibilisierungen bei der Niederlassung. Wir brauchen Ärzte dort, wo Bedarf besteht. Bei der Einschätzung des Bedarfs sollten Krankenkassen ein Mitspracherecht haben. Wichtig ist, dass kassenärztliche Vereinigungen, Krankenkassen und Politik jetzt eng zusammenarbeiten - denn: Es geht nicht in erster Linie um die Ärzte, sondern um die Patienten!