Behörde schließt eine Spur der Willy-Brandt-Straße nach Absturz eines Mauerteils

Altstadt. Das war knapp: Ein fast zehn Kilo schwerer Mauerstein hat ein Loch in den Fahrradweg der Willy-Brandt-Straße geschlagen und ist anschließend auf einen Grünstreifen gerollt. Aus etwa 100 Meter Höhe hatte sich der 20 mal 25 Zentimeter große Brocken gestern gegen 14.30 Uhr aus seiner Verankerung auf der Südseite des Turms von St. Nikolai gelöst und war zu Boden gestürzt. Dass niemand verletzt wurde, gar sein Leben verlor, ist wohl einem glücklichen Zufall zu verdanken. Doch es bleibt nur eine Frage der Zeit, wann der nächste Stein aus dem Gemäuer der Ruine folgt.

60 Jahre nachdem alliierte Bomber Hamburgs damalige Hauptkirche in Schutt und Asche legten, nagt der Zahn der Zeit an dem 147 Meter hohen Kirchturm, der sich heute als Mahnmal über die Altstadt erhebt. Doch für eine Grundsanierung fehlt das Geld: Während die West- und die Ostseite des Turms vor der Jahrtausendwende restauriert wurden, gammeln die übrigen Seiten vor sich hin - mit gefährlichen Folgen.

Es könnte gestern der Stein gewesen sein, der eine weitere Sanierung ins Rollen bringt: Der Brocken hat mittlerweile seinen Platz auf dem Schreibtisch von Mitte-Bezirkschef Markus Schreiber gefunden. Eine Art Faustpfand vielleicht. "Der Bezirk hat kein Geld", sagt der SPD-Mann nüchtern. Allerdings hat Schreiber eine Idee: Vor drei Jahren habe die Stadt den Bezirken eine Beteiligung an Werbeerlösen versprochen. Geld, das der schwarz-grüne Senat jedoch einbehalten habe und das der neue rote Senat jetzt ausschütten solle. Von 2009 an sollten die Bezirke an mehr als 100 großen Werbetafeln in der Stadt mitverdienen. Eingefädelt wurde der vermeintliche Deal bereits ein Jahr zuvor, als der Senat einen lukrativen Vertrag für Werberechte mit den Stadtmöbel-Konzernen JC Decaux und Ströer um 15 Jahre verlängerte und sich für diese Zeit eine Garantiesumme in Höhe von fast einer halben Milliarde Euro sicherte.

Ein Teil der Einnahmen soll an die Bezirke fließen, hieß es damals in der Finanzbehörde. Schreiber, der den Deal der Bezirke mit der Stadt eingefädelt hatte, freute sich schon über 14 Millionen Euro, die allein dem Bezirk Mitte zugutekommen sollten. Doch daraus wurde nichts und damit auch nichts aus der Komplettsanierung des Kirchturms, für die die ersten vier Werbemillionen vorgesehen waren.

Schreiber sieht den Senat jetzt in der Pflicht. Dabei gehe es nicht nur um die Sanierung, lässt Schreiber durchblicken. Das Geld fehle ihm schon dafür zu erkunden, wie stark der Turm bereits angeschlagen, vielleicht sogar einsturzgefährdet ist. Ein mehrere 10 000 Euro teures Gerüst wäre notwendig. So bleiben Schreiber vorerst nur Absperrgitter: Nach dem Steinschlag in der Altstadt sperrte die Polizei nicht nur den demolierten Radweg, sondern auch den Fußgängerweg und - für die baustellengeplagte Stadt wohl noch schlimmer - auch eine Spur der Hauptverkehrsachse Willy-Brandt-Straße. Und die Sperrung könne aus Sicherheitsgründen erst wieder aufgehoben werden, wenn der Turm saniert sei, sagt Schreiber. Schon deshalb müsse die Stadt an einer schnellen Lösung interessiert sein.

Der Bezirkschef bekommt Unterstützung vom Förderkreis "Rettet die Nikolaikirche". Der Verein hat den ebenerdigen Teil der Kirchenanlage gepachtet, betreibt ein Dokumentationszentrum und den Fahrstuhl, der Besucher auf Hamburgs höchsten Kirchturm bringt. "Auch wenn die Finanzbehörde dem Bezirk die Verwaltung über St. Nikolai übertragen hat, muss das Geld für die Sanierung von der Stadt zugewiesen werden", sagt Klaus Francke, ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Förderkreises. Er suchte nach dem Steinschlag mit einem Bauprüfer das Gemäuer ab, konnte aber nicht herausfinden, wo genau der Stein sich gelöst hatte. Eine Sanierung hält Francke für zwingend, die Kosten seien nicht genau zu beziffern. "Der Gesamtbedarf ist irgendwann im vergangenen Jahrhundert mal beziffert worden." Und jeder rede über unterschiedliche Summen, mal sieben Millionen Euro, dann wieder sehr viel mehr.

Dass Not am Bau ist, zeigte schon ein Vorfall im Frühjahr: Da war ein kleinerer Stein aus der Wand zwischen Glockenspiel und Eingangstür gefallen. Für 90 000 Euro wurde er wieder eingesetzt und auch die Mauer zur Willy-Brandt-Straße eingerüstet. Das Geld kam vom Senat. Nächste Woche hält Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) in den Räumen des Vereins eine Rede. Dann wollen Francke und seine Mitstreiter noch einmal für die Sanierung werben.