Abendblatt-Redakteurin Claudia Sewig schreibt heute in ihrer Kolumne über Bonaparte, den 1,20 Meter großen Napoleon-Lippfisch

Stellingen. Bonaparte, ein Großer? Der französische Feldherr war es, historisch gesehen, sicherlich. Rein körperlich jedoch, auch das ist bekannt, eher weniger. Wofür der neue Bonaparte aus Stellingen einst im Gedächtnis bleiben wird, bleibt abzuwarten - immerhin heißt es, dass er eine Körperlänge von zwei Metern erreichen kann. Damit ist der Napoleon-Lippfisch neben einigen Zackenbarscharten einer der größten Korallenfische der Welt. Und Bonaparte schon jetzt eine "echte Persönlichkeit", wie Guido Westhoff sagt.

Am 28. Februar war der Lippfisch von einem Fischhändler aus Australien nach Hamburg gekommen, erzählt der Leiter des Tropen-Aquariums. "Und obwohl wir von dem Händler genau wussten, was er dort immer gefressen hatte, und wir ihm das auch hier angeboten haben, hat er die ersten 14 Tage erst einmal jegliche Nahrung verweigert", erinnert sich Westhoff. Nach täglichen Telefonaten mit Australien blieb nur der Gang zum Delikatesshändler: Die teuersten Krabben mussten her. Und siehe da: Monsieur ließ es sich schmecken. Westhoff: "Von da an hat Bonaparte die Scheu vor uns verloren."

Von dem eigenen Swimmingpool mit 10 000 Liter Wasser, in dem er bis dahin die erste Eingewöhnungsphase verbracht hatte, ging es nun in die sogenannte Hai-Quarantäne: ein Abteil neben dem großen Hai-Atoll, das nur durch ein Gitter von diesem abgetrennt ist. Als sich Bonaparte auch hier eingelebt hatte, durfte er schließlich nach vier Wochen in sein neues Zuhause einziehen. Zu den Haien - und zu Zackenbarsch Zorro. Doch dem gefiel der Neue gar nicht. Bisher der unumstrittene Platzhirsch, sah sich Zorro plötzlich mit ernst zu nehmender Konkurrenz konfrontiert. Während die Haie nur neugierig guckten, dann jedoch wieder ihre Bahnen schwammen, gingen Zorro und Bonaparte aufeinander los. "Dabei hat Zorro Bonaparte ordentlich in die Flossen gebissen", sagt Westhoff.

Im natürlichen Lebensraum der Napoleon-Lippfische, dem Indopazifik, haben die zu den Barschartigen zählenden Fische ausgewachsen eigentlich nur einen zu fürchten: den Menschen. Westhoff: "Napoleon-Lippfische gelten als Delikatesse, zum Beispiel für Sushi. Da werden schon einmal 150 US-Dollar gezahlt - für ein Kilogramm Fisch." Da kommt für einen ganzen Fisch eine stolze Summe zusammen, können die Tiere doch bis zu 190 Kilogramm schwer werden.

Kein Wunder, dass Napoleon-Lippfische auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten stehen. Erstaunlicherweise verhalten sie sich Tauchern gegenüber jedoch immer noch äußerst zutraulich, berichtet Westhoff: "Sie kommen sofort neugierig näher. Allerdings machen sich das einige Menschen zunutze und füttern sie, auch mal mit gekochten Eiern. Das bekommt den Tieren überhaupt nicht - viele verenden daran", so der Biologe.

Die Raubfische mit den dick aufgeworfenen Lippen und den auffälligen Kopfbuckeln ernähren sich von kleinen Fischen, hauptsächlich aber von Muscheln oder Krebsen. "Die zerknacken mit ihrem kräftigen Gebiss einfach alles." Auf Jagd gehen die Einzelgänger dabei tagsüber; nachts schlafen sie versteckt zwischen den Korallen. Dabei hilft ihnen ihre grünlich-bläuliche Färbung bei der Tarnung. Westhoff: "Je älter Napoleon-Lippfische werden, desto schöner werden sie."

Bonaparte mit seiner Körperlänge von gut 1,20 Metern schätzt der Aquariumsleiter auf mindestens 15 Jahre. Bei guter Haltung könnte er 30 Jahre und älter werden. Und einer guten Haltung steht derzeit nichts mehr im Wege - seit Zorro kurzfristig die Segel streichen musste. Als ihn Guido Westhoff für kurze Zeit aus dem Becken herausnehmen musste, hatte Bonaparte ausreichend Zeit, das Terrain für sich zu erkunden - und zu übernehmen. Als Zorro dann zurückkam, waren die Fronten geklärt. Heute geht es zwischen den beiden Schwergewichten weitaus ruhiger zu.

Bonaparte ist sogar so entspannt, dass er sich morgens gerne an der großen Scheibe niedersinken und von den Putzerfischen im Becken putzen lässt. Nachmittags hingegen, sagt Westhoff, verkrümele er sich gerne auch einmal in eine der dunklen Ecken des Hai-Atolls. Was er da ausheckt, ist nicht überliefert.

Lesen Sie nächsten Mittwoch: Mandarinente Aix