Rainer Wulff ist seit 25 Jahren Stadionsprecher des FC St. Pauli.Außerdem tritt er bei den Eutiner Festspielen als alter Don Giovanni auf.

Eutin/Hamburg. "Wenn Sie da in Eutin als alter Don Giovanni auf die Open-Air-Bühne kommen und zu sprechen anfangen, denk ich sofort: Jetzt ruft er gleich: Und mit der Nummer zehn ..." Seine Fans erkennen ihn sofort. Da kann sich Rainer Wulff, 68, noch so sehr verkleiden und die Haare unter einer weißen Perücke verstecken.

Seine sympathische, leicht angeraute Stimme gehört seit 1986 zu fast jedem Heimspiel am Millerntor. "Damals war St. Pauli in die Zweite Bundesliga aufgestiegen, und Präsident Paulick wollte bei wichtigen Spielen eine bekannte NDR-Stimme im Stadion. Mein Vorgänger warf eine Stunde vor Spielbeginn hin, weil ihm niemand gesagt hatte, dass wir uns künftig abwechseln sollten." Das Ergebnis von damals wird er nie vergessen: 5:1 für St. Pauli.

In der Sprecherkabine am Millerntor spielt nicht nur die Auftrittsmusik des FC St. Pauli ("Hells Bells" von AC/DC), sondern auch die der Gastmannschaften - sogar der HSV-Song "Hamburg, meine Perle" war am Ende akzeptiert. "Ich spreche immer von Gästen, nie von Gegnern", sagt er. Und altmodische Tugenden wie Fairness sind ihm heilig. "Wenn die St.-Pauli-Fans bei Oliver Kahn Affengeräusche machten und Bananen geworfen haben, gab's ne Ansage: 'Leute, das ist völlig unter unserem Niveau' - dann war Ruhe."

Seine Fußballbegeisterung entstand in Malente. Dort trainierte immer die deutsche Nationalmannschaft, die Kinder des Ortes durften den Stars zuschauen. Damals wollte er Sportreporter werden. Später hat er immer mal wieder über Fußball berichtet. "Das waren aber bloß einzelne Bonbons - man isst ja nicht die ganze Tüte leer."

Aber auch der Auftritt in einer Live-Oper ist eine Rückkehr zu seinen Wurzeln. 1943 in Hamburg geboren, ging Wulff später in Eutin zu Schule, "da waren die Festspiele nun mal die nächste Oper". 1955 saß er da zum ersten Mal im Publikum. Bis zum Abitur sah er jedes Jahr drei verschiedene Werke. Eine Grundlage fürs Leben. Auch wenn ihn das erst mal wegführte von der Klassik. Aber das Lehrerstudium (Deutsch, Geschichte) endete 1966 beim NDR, aus der Urlaubsvertretung wurde ein fester Job. Er machte alles - Aktuelles, Politik, Unterhaltung, Kultur, mit Henning Venske den "Fünf-Uhr-Klub", zu dem später Monika Jetter, Wiebke Bruhns und Ortwin Löwa stießen: "Wir hatten viele Hörer. Und viel Ärger - das war richtig provokatives Radio."

1977 zog er endgültig nach Hamburg um. Im NDR wurde er Leiter der Magazin-Redaktion, 1989 ging er mit Wolfgang Knauer als Chef vom Dienst zu NDR 3 (heute NDR Kultur). "Und da mir die Oper am Herzen lag, hatte ich bald die Opernredaktion an der Backe." Für die Sendereihe "Start" ging er auf die Suche auch nach jungen Stimmen - und landete bald in den Jurys von Gesangswettbewerben: Belvedere-Wettbewerb (Medien-Jury), Competizione dell'Opera, Bundeswettbewerb Gesang.

"Wenn man 50 Sänger pro Tag hört, bleiben am Abend fünf im Gedächtnis - weil sie mich berührt haben durch den Einklang zwischen einer schönen Stimme mit einer glaubwürdigen überzeugenden und zu Herzen gehenden, nicht kitschigen Darstellung."

Beim NDR ist er seit 2003 im vorgezogenen Ruhestand. Und hat immer noch gut zu tun. In Eutin hilft er aus alter Anhänglichkeit auch als Pressesprecher mit, die Festspiele wieder auf die Beine zu bringen. Und hat die Herausforderung angenommen, beim "Don Giovanni" als gealterter Wüstling szenisch mitzuspielen und auf Deutsch dafür zu sorgen, dass die Zuschauer die Handlung verstehen, "denn die Sänger singen italienisch, und wir haben ja keine Untertitel". Da ist er dann hautnah dran am Theater und am norddeutschen Regenwetter, erlebt Spannung, Nervosität und kleine Kabalen hinter der Bühne und sieht, wer wem in den Applaus hineingrätscht. Am Ende geht er mit dem singenden Don Giovanni, Jorge Lagunes, ab ins Publikum, während auf der Bühne das Final-Ensemble Recht und Ordnung propagiert. "Es ist eine grandiose Erfahrung, aber auch ganz schön anstrengend", sagt Wulff.

Er freut sich auf den 22. August. Dann sitzt er beim Spiel gegen den MSV Duisburg wieder in seiner Sprecherkabine am Millerntor, im Trockenen. Mit Matthias von Hartz vom Sommerfestival auf Kampnagel hat er mal diskutiert, warum Fußball so selten auf den Theaterbühnen vorkommt, wo er doch sonst die Massen bewegt. Man einigte sich darauf: "Die Dramatik im Stadion ist so viel stärker als das, was man als Künstler in ein Theaterstück hineinbringen kann - da würde jedes Theaterstück alt aussehen gegen ein echtes Spiel."

Don Giovanni, Eutiner Festspiele, Bühne im Schlossgarten, 5. und 7. August, 20.30 Uhr. Alle Infos unter www.eutiner-festspiele.de