Mozarts Opern in Salzburg beschreiben die Gier der Libido - und wecken damit Assoziationen auch zum Fall Strauss-Kahn

In Salzburg, den Festspielen mit der schönsten Aussicht, der herrlichsten Musik, dem besten Kaiserschmarren und Tafelspitz, gibt es in diesem Jahr einen seltenen Glücksfall. Alle drei Da-Ponte-Opern Mozarts, also "Figaro", "Don Giovanni" und "Così fan tutte", sind wie aus einem Guss zu sehen, alle in den Inszenierungen von Claus Guth, die in den letzten Jahren schon als schönes Einzelstückwerk zu sehen waren, nun als Mozarts "Ring" sozusagen, die Krönung als Operntrias.

Salzburg, das man mit barocker Lebensfreude, Reichtum und Kulinarik beschreiben kann, ist ja gleichzeitig die Stadt, die mit Friedhöfen und Felsgrotten, mit dem Welttheater des populären "Jedermann" Töne nach Buße und Reue, nach Reichtum, Übermut und Gier des barocken "Memento mori" anschlägt. Da kommen die Da-Ponte-Opern Mozarts, die von der Machtgier der Sexualität handeln, vom Todestrieb und der Zerstörungslust der Libido, gerade recht. Ausgerechnet dem "Don Giovanni" hat Guths Inszenierung, schon als sich der Vorhang hebt, den Todesstoß gegeben, was seinen grandiosen letzten Kampf um die Eroberung der Frauen so tragisch und so schlüssig macht: Der vom Komtur tödlich Getroffene erwacht nur noch aus seiner Agonie, wenn er eine neue Eroberung wittert. Schlüssiger, Mozarts Geist näher, Salzburg-gemäßer geht es nicht. Und zeitgemäßer auch nicht.

Man mag den Sturz eines Wettermoderators assoziieren, wenn man den Getriebenen durch den Wald und vorbei an Omnibusstationen stolpern sieht - unbehaust, wie ein von Racheengeln gejagter Jörg K., wenn das Innere seines Autos seine Behausung darstellt, mit zerknitterter Kleidung aus Plastiktüten - umtriebig, dauernd unterwegs. Guths Inszenierung zwingt geradezu zu dieser zeitgemäßen Assoziation, obwohl ihr Wissen "älter" ist als der Skandalprozess. Und der "Figaro" mit seinem machtbesessenen Grafen, der alles, was ihm in den Weg kommt, sexuell überwältigen zu müssen glaubt, weil er das sich und seinem Selbstbewusstsein schuldig ist in brüchiger Zeit?

Wer da nicht an den Fall Strauss-Kahn denkt, ist selber schuld. Und auch Mozarts Graf hat durch das unendliche Verzeihen seiner Gattin (hier ist die Parallele geradezu schmerzlich) der Oper den wunderbaren Moment der Vergebung, der Ruhe, der Utopie des Gestilltseins gebracht. Die Ehe-Konvention, die den Trieb für einen Moment wieder bändigt. Und "Così", die Oper einer schnöden Männerwette auf Kosten der Frauen, eines zerstörerischen Partnertauschs. Bei Guth bricht Libido wie eine archaische Natur in die Luxus-Zivilisation ein, überwuchert und zerstört sie, als voyeuristische Skandalisierung.

Salzburg vermag mit der Trias dieser Werke in Guths Sicht den verwöhnten Besuchern den Spiegel vorhalten. Und das mit der tiefsinnigsten Musik der Welt, die es über Tausch von Lüge und Wahrheit gibt. Hier kann jedermann sich wiederentdecken. - Wenn er nur ein volles Portemonnaie hat.