Viele Menschen bauen in der Euro-Krise auf das Edelmetall und lassen ihren Schmuck schätzen. Der Andrang bei Juwelieren wird immer größer.

Hamburg. Der Ring, der geschätzt werden soll, stammt aus altem Familienbesitz. Zwanzigerjahre wahrscheinlich, aus Süddeutschland. Ein filigranes Stück aus Gold mit einem kleinen Edelstein. Die Besitzerin möchte wissen, was er wert ist, in diesen Euro-unsicheren Zeiten.

Nun liegt er nackt und bloß auf schwarzem Samt. "Dieser Ring?", fragt die Juwelierin gedehnt und fasst ihn mit spitzen Fingern an. Es gebe gleich zwei Probleme damit, sagt sie dann: der eingefasste Stein zum einen, den sie nicht brauchen könne. Und zum Zweiten das geringe Gewicht. Sie wiegt den Ring prüfend in ihrer Hand. "Zwei Gramm vielleicht", schätzt sie. "Lohnt sich kaum."

Die Antwort kommt unerwartet. Schließlich war der Ring vermutlich einmal teuer - der genaue Preis ist unbekannt -, und Gold gilt in Zeiten der Krise als die stabilste Währung von allen. Wer Angst um sein Geld hat, heißt es, steckt es in Gold. Und das erreicht, je weiter es mit dem Euro bergab geht, Höhenflüge an der Börse.

Auch in Hamburg hat sich dieser Tage ein kleiner Rausch entwickelt. Immer öfter bekommen Juweliere Besuch von Kunden, die Omas Goldkettchen oder Opas Zähne zu barer Münze machen wollen. Bis zu 40 Prozent sei in seinem Geschäft die Zahl der Anfragen in den letzten zwei bis drei Jahren gestiegen, sagt Thomas Damar vom Juwelier Zero am Gänsemarkt. Besonders stark sei der Andrang in den vergangenen zwei Monaten gewesen. Der Grund: "Momentan haben wir fast jeden Tag einen neuen Höchstwert an der Börse." Plötzlich erinnern sich die Leute an alten Familienschmuck und klappern die Läden ab, um sich das beste Angebot zu holen. "Wie auf einem türkischen Markt geht es da mittlerweile zu", sagt Damar.

Der Preis, den Juweliere zahlen, orientiert sich am Börsenkurs des Goldes und wechselt deshalb mehrmals täglich. Wer mit einem Schmuckstück kommt, muss es erst wiegen lassen. Dann bestimmt der Juwelier mit einer Lupe den ungefähren Gehalt an Feingold - meist sind es 330er, 585er- oder 750er-Legierungen. Die Zahl findet sich an unauffälliger Stelle des Schmucks. Börsenkurs und Feingoldgehalt werden dann zu einem Wert verrechnet, den der Ring zu dieser Stunde an der Börse hätte. Abgezogen werden die weiteren Verarbeitungskosten. Und die schätzt jeder Juwelier selbst ein.

Wer sparen will, kann den Schmuck auch in eine Scheideanstalt bringen. Anders als beim Juwelier wird das Gold hier direkt selbst geschmolzen - die Verarbeitungskosten sinken, es bleibt mehr Geld für den Kunden. "Meist kommen es gut situierte Menschen in höherem Alter, deren Kinder den alten Schmuck nicht mehr tragen wollen", sagt Miriam Torbeck, Betriebsleiterin bei der Scheideanstalt Aurum in Norderstedt. Sie warnt davor, sich zu schnell von Goldstücken zu trennen: "Manche wissen gar nicht, welchen Schatz sie da in den Händen halten. Sie kommen dann mit Sammlerstücken wie Uhren von Jaeger-LeCoultre." Solchen Kunden lege sie nahe, sich nach Auktionshäusern umzusehen: "Dort bekommen sie mehr. Es wäre schade, diese Stücke einzuschmelzen. Da übersteigt der ideelle den materiellen Wert bei Weitem."

Auch Thomas Damar rät dazu, einen Verkauf zu überdenken. Ob direkt bei den Scheideanstalten oder über die Juweliere - letztlich landet, was als Materialgold verkauft wird, im Ofen. "Viele wundern sich über die niedrigen Preise für ihren Schmuck. Sie kommen mit einer Kette oder einem Collier, die früher einmal sehr teuer waren. Was bei uns zählt, ist aber nur der Goldgehalt."

Dass es beim Schmuck um mehr geht als nur ums Material, wird manchmal allzu leicht vergessen. Der ursprüngliche Preis eines Stücks bezieht auch Verarbeitungsqualität, Produktionsaufwand und Einzigartigkeit mit ein. Der Wert, an den die Kunden denken, speist sich dagegen aus Geschichte, Familie und Erinnerungen.

Der alte Familienring ist an diesem Tag durch die Hände von vier Juwelieren gegangen. Seine Besitzerin weiß nun, dass er zwei Gramm wiegt und eine 585-Legierung hat. Der Feingoldgehalt liegt demnach bei 1,17 Gramm. Zwischen 30 und 35 Euro hätte man an diesem Tag dafür bekommen, immerhin etwa das Doppelte wie noch vor wenigen Jahren. Doch dafür müsste man den Stein aus der Fassung lösen.

Thomas Damar macht ein schmerzvolles Gesicht: "Bloß nicht! Es ist doch ein schöner alter Ring. Wäre schade drum."