Die zum 1. April 2012 in Kraft tretende Reform geht auf Kosten von Langzeitarbeitslosen, Geringqualifizierten, Frauen, Älteren und Migranten

Wir haben in Deutschland einen gleich mehrfach gespaltenen Arbeitsmarkt: Zwar nimmt die Zahl der Erwerbstätigen weiter zu, zwar besteht in vielen Bereichen ein Fachkräftemangel, zwar verzeichnen wir einen Rückgang der Arbeitslosigkeit bei den Kurzzeitarbeitslosen, die Arbeitslosenquote sinkt auf rund 6,9 Prozent. Doch ist festzuhalten: Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte profitieren kaum vom Konjunkturaufschwung, die Zahl der Hartz-IV-Empfänger geht nur minimal zurück, und es gibt zwar offene Lehrstellen, dennoch sind rund 180 000 Jugendliche unversorgt.

Sich dieser Gruppen besonders anzunehmen gehört zu den Aufgaben eines jeden Sozialstaats. Die jetzige Sparpolitik und neue Pläne der Bundesregierung lassen dagegen befürchten, dass die aktive Arbeitsmarktpolitik spätestens im Frühjahr 2012 zu Grabe getragen wird. Schon jetzt ist das "Jobwunder" Deutschland durchaus kritisch zu betrachten, denn die Quote der Langzeitarbeitslosen in Deutschland liegt deutlich über dem EU-Durchschnitt, im OECD-Vergleich hat Deutschland hinter der Slowakei den zweithöchsten Anteil an Langzeitarbeitslosen. 57 Prozent aller Arbeitslosen waren im vergangenen Jahr länger als zwölf Monate ohne Stelle. In Österreich sind es nur 27 Prozent.

Dazu muss man wissen: Von den 2010 im Durchschnitt 3,2 Millionen Arbeitslosen hatten 1,3 Millionen keine abgeschlossene Berufsausbildung, von den Hartz-IV-Empfängern hatten 51 Prozent keine Ausbildung und 20 Prozent keinen Schulabschluss. Auch andere ungenutzte Arbeitsmarkpotenziale wie Frauen, Ältere, Migranten erfahren keine ausreichende Förderung, um hierdurch den Abbau des Fachkräftemangels zu unterstützen.

In dieser Situation ist es äußerst prekär, dass die Bundesregierung von 2011 bis 2015 direkt mehr als 20 Milliarden und indirekt (über den Wegfall eines halben Mehrwertsteuerpunktes für die Bundesagentur für Arbeit) ebenfalls bis 2015 weitere zwölf Milliarden Euro in der Arbeitsmarktpolitik einsparen will. Die Verlierer dieser Politik sind die Langzeitarbeitslosen, die Geringqualifizierten, die nicht genutzten Arbeitsmarktpotenziale und letztlich die deutsche Volkswirtschaft.

Alle Experten sind sich einig: Gerade Langzeitarbeitslose, Geringqualifizierte und auch Jugendliche ohne Schulabschluss bedürfen einer besonderen Betreuung, Förderung und Qualifizierung, um sie arbeitsmarktfähig zu machen. Ohne Ausbildung, Schulausbildung wie Berufsausbildung gibt es keine nachhaltige Chance, sozialversicherungspflichtig beschäftigt zu werden. Das verursacht volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe.

Ungeachtet dessen geht die zum 1. April 2012 in Kraft tretende Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente noch viel stärker auf Kosten der Schwächsten. Der größte Fehler besteht in der geplanten Verknüpfung mit weiteren Einsparungen: Wenn weitere 7,5 Milliarden Euro durch Effizienzgewinne eingespart werden sollen, wird der Kahlschlag in der Arbeitsmarktpolitik vollendet.

Weitere wesentliche Mängel der Reformüberlegungen sind: Die erfolgreiche Unterstützung bei Existenzgründungen wird von der Pflicht- zur Kannleistung, was angesichts der Sparmaßnahmen praktisch das finanzielle Aus bedeutet. Einen Rechtsanspruch auf einen Hauptschulabschluss gibt es nicht mehr, nur noch im Zusammenhang mit einer berufsvorbereitenden Maßnahme, womit aber viele leistungsschwache Jugendliche nicht erreicht werden. Durch die vorgesehene Kofinanzierung durch Dritte bei der Berufseinstiegsbegleitung besteht die Gefahr, dass dieses Instrument mangels Finanzierungsmöglichkeiten durch Länder und Kommunen leerläuft.

Die dreijährige geförderte Umschulung in der Alten- und Krankenpflege steht trotz nahezu hundertprozentiger Integrationsquoten vor dem Aus, weil es keine Anschlussmodelle gibt. Der Bund und die Länder sind aufgerufen, gerade auch vor dem Hintergrund des Pflegenotstandes schnellstens Finanzierungswege zu erarbeiten.

Es wird immer Langzeitarbeitslose geben, die auf das Instrument der öffentlichen Beschäftigung angewiesen sind. Um sie in sogenannte Ein-Euro-Jobs zu bringen, werden allerdings weitere Hürden aufgebaut, sodass dieses Instrument ad absurdum geführt wird.

Die Aktivierung, Motivation, Stabilisierung von Arbeitslosen mit schwerwiegenden Vermittlungshemmnissen muss einen besonderen Stellenwert haben, um sie arbeitsmarktfähig zu machen. Auch hieran hapert es.

Wolfgang Prill, 63, Vizevorsitzender des Bundesverbands der Träger beruflicher Bildung