Rettungsschirme verschaffen den europäischen Krisenländern allenfalls Zeit. Sie müssen vor allem ihre Wettbewerbsfähigkeit wiedererlangen

Nun also Italien. Überall hört man: Böse Spekulanten hätten sich nach Griechenland, Irland und Portugal nun dieses Land vorgeknöpft. Unsere Politiker beschwichtigen: Eigentlich stehe Italien gar nicht schlecht da: Abgesehen von der hohen Staatsverschuldung sei es nicht wirklich gefährdet. Wegen der Spekulanten aber müsse man die derzeitigen Hilfsgarantien der starken für die schwachen Euro-Länder auf 1500 Milliarden Euro verdoppeln. Damit würden die Spekulanten abgeschreckt; in Anspruch genommen würden diese Garantien daher nie. Wirklich?

Als sich im März 2010 der griechische Staat immer schwerer tat, Kredite am Kapitalmarkt zu erhalten, machten unsere Politiker ebenfalls Spekulanten dafür verantwortlich. Sie gaben eine Hilfsgarantie und sagten, dies schrecke die Spekulanten ab, sodass die Hilfe gar nicht ausgezahlt werde müsse. Weit gefehlt: Wenig später musste ein Kredit von 110 Milliarden Euro gewährt werden. Die Einrichtung des Rettungsschirms mit Hilfsgarantien über 750 Milliarden Euro im Mai 2010 begründete man damit, dass man Spekulanten davon abhalten müsse, nun gegen Portugal, Irland und Spanien vorzugehen; in Anspruch genommen werde der Schirm nie. Erneut weit gefehlt: Irland erhält aus dem Rettungsschirm 85 Milliarden Euro, Portugal 78 Milliarden Euro. Inzwischen braucht Griechenland weitere 100 Milliarden Euro. Und bei Italien soll alles anders sein? Erneut weit gefehlt.

Natürlich gibt es Spekulanten - zuhauf. Aber die machen ihren Reibach mit der Wette, ob die maroden Staaten immer weitere Kredite aus Nordeuropa erhalten oder nicht. Verursacher der Krisen sind sie nicht. Offensichtlich haben unsere Politiker noch immer nicht erkannt, was die Wurzel der ganzen Misere ist.

Es ist auch nicht die unbestreitbare Überschuldung der südeuropäischen Staatshaushalte. Das eigentliche Problem ist - viel grundsätzlicher - der Verfall der Kreditfähigkeit der Volkswirtschaften insgesamt.

Griechenland und Portugal, Spanien und Italien haben jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt: Sie haben mehr importiert als exportiert, also mehr ausgegeben als eingenommen. Die Differenz wurde über Auslandskredite finanziert. Der Staat ist dabei nur der größte Einzelschuldner.

Um die Kredite zurückzahlen zu können, müssten diese Länder durch Exportüberschüsse mehr einnehmen als ausgeben. Das schaffen sie aber nicht mehr. Denn sie haben ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren. Während die deutsche Volkswirtschaft mit der Agenda 2010 und den Hartz-Reformen immer leistungsfähiger wurde, blieben dort die Reformen aus, die Produktionskosten stiegen kontinuierlich. Früher wurde das über Währungsabwertungen ausgeglichen; das geht mit dem Euro nicht mehr.

Dramatisch wird es für eine Volkswirtschaft vor allem, wenn die Auslandskredite nicht für wachstumssteigernde Investitionen, sondern für Konsumgüter, Wohnungsbau oder Lagerware - für Konsum im weiteren Sinne - verwendet werden. Denn: Nur Investitionen ermöglichen die Produktion von Gütern, über deren Verkauf die Auslandskredite getilgt werden können. Wenn dagegen die Auslandskredite für besagten Konsum verfrühstückt werden, wird kein Potenzial geschaffen, um sie zurückzuzahlen. Dies, und nicht das Spekulantentum, bedroht die Kreditfähigkeit.

Wie sieht es in den betroffenen Ländern aus? Alle verkonsumieren nicht nur das gesamte im Inland erwirtschaftete Einkommen, sondern auch einen immer größeren Teil der Auslandskredite: Griechenland seit 2001, Portugal seit 2004, Italien seit 2009. So wurden 2010 in Griechenland alle, in Italien die Hälfte der 2010 aufgenommenen Auslandskredite verbrannt. Folge: Es verfällt die Fähigkeit zur Tilgung. Besonders alarmierend: 2010 ist diese Entwicklung sogar auf Frankreich übergesprungen. Die Kreditfähigkeitskrise ist im Kerneuropa der EWG-Gründerstaaten angekommen.

Beistandskredite ändern nichts an der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit. Radikale realwirtschaftliche Reformen schon; aber sie benötigen Zeit, die diese Länder nicht mehr haben. Es gibt daher nur zwei Auswege: entweder Austritt aus der Währungsunion und drastische Abwertung der dann wieder nationalen Währung; doch das lehnen unsere Politiker kategorisch ab. Oder ein permanenter Staatenfinanzausgleich, der nach derzeitiger Lage über 100 Milliarden Euro pro Jahr umfassen müsste. Ob die Bevölkerung in Nordeuropa zu so viel Solidarität bereit ist?