Katja Suding (FDP) und Dora Heyenn (Linke) im Abendblatt-Streitgespräch über Schulden, Steuern und Personalabbau im öffentlichen Dienst.

Hamburg. Sie sind die Antipoden der Bürgerschaft, wenn es um den Staatsbegriff geht: die Liberale Katja Suding und die Linke Dora Heyenn.

Hamburger Abendblatt:

Frau Suding, was haben Sie gegen den Staat?

Katja Suding:

Gar nichts. Ich möchte einen schlanken, starken Staat, der seine hoheitlichen Aufgaben erfüllt und sich sonst aus dem Alltag der Menschen heraushält.

Heyenn:

Die FDP will den Staat beschneiden, die Steuern sollen sinken und mit der Schuldenbremse soll die öffentliche Hand ab 2020 keine Kredite mehr aufnehmen dürfen. Was bleibt denn dann noch vom Staat?

Suding:

Steuerentlastungen sind in einer wachsenden Wirtschaft sehr gut mit Haushaltskonsolidierung vereinbar. Uns geht es vor allem um Gerechtigkeit. Es wird kaum noch differenziert zwischen Gering- und Gutverdiener. Ab dem gehobenen Facharbeiter zahlt jeder den Spitzensteuersatz.

Dora Heyenn:

Wir wollen auch ein gerechteres Steuersystem, das höhere Einkommen ab 6000 Euro im Monat stärker belastet als die niedrigeren. Wenn man Steuern senkt, wie die FDP es will, hat man weniger Einnahmen. Das kann sich der Staat nicht leisten.

Suding:

Das haben Sie falsch verstanden. Wir wollen zwar Steuersenkungen. Aber wir haben ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum mit steigenden Steuereinnahmen, und es kann doch nicht sein, dass davon am stärksten der Finanzminister profitiert. Wir müssen von dem Geld, das wir den Menschen wegnehmen, in guten Zeiten etwas zurückgeben.

Heyenn:

Damit komme ich überhaupt nicht klar: Dass wir den Menschen das Geld aus der Tasche ziehen und ihnen etwas zurückgeben müssen - das sehe ich nicht so. Bildung, Innere Sicherheit, Infrastruktur, Mobilität, Energie - das sind Leistungen des Staates, dafür zahlt man Steuern. Niemand nimmt den Bürgern etwas weg.

Suding:

Da habe ich ein ganz anderes Staatsverständnis. Der Bürger gibt dem Staat Geld, um bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Und eine Steuersenkung ist kein Geschenk, sondern sie lässt dem Bürger das, was er sich mehr erarbeitet hat, statt es ihm wegzunehmen. Konkrete Beispiele: Sie wollen für horrendes Geld die kompletten Energienetze zurückkaufen und bürden dem Steuerzahler ein Milliardenrisiko auf. Oder warum werden Studiengebühren abgeschafft? Die werden größtenteils von Studenten aus Familien entrichtet, die sich die Gebühren sehr wohl leisten können. Und für alle anderen gibt es die Möglichkeit, die Gebühren nachträglich zu zahlen. Mit der Abschaffung werden alle Steuerzahler belastet, weil das Geld für Forschung und Lehre aus dem Haushalt kommen muss. Ich finde das extrem ungerecht.

Heyenn:

Das ist Ihr Freiheitsbegriff. Da hat man letztlich auch die Freiheit, unter den Brücken zu schlafen, davon haben wir ja einige in Hamburg. Sie haben es ja gesagt: Die meisten Studierenden kommen aus wohlhabenden Familien. Durch die Einführung der Studiengebühren hat sich die soziale Struktur an den Universitäten so stark verschoben, dass wir kaum noch Arbeiterkinder an den Unis haben. Studiengebühren schrecken ab. Daher müssen sie weg. Bildung muss für jeden zugänglich sein.

Suding:

Sie ist für jeden zugänglich ...

Heyenn:

Nein, ist sie nicht ...

Suding:

Wenn ich es nicht schaffe, nach dem Studium einen Job zu finden, der mich in die Lage versetzt, die Studiengebühren zurückzuzahlen, dann muss ich es auch nicht zurückzahlen.

Heyenn:

Wovon träumen Sie? Wissen Sie eigentlich, wie es den Uni-Absolventen geht? Die müssen ein Praktikum nach dem anderen machen, die haben prekäre Beschäftigungsverhältnisse, viele gehen ins Ausland. Die haben nicht die Auswahl an tollen Jobs.

Suding:

Die Arbeitslosenzahlen sinken, wir steuern auf einen massiven Fachkräftemangel zu, junge Menschen werden schon an den Unis mit Arbeitsverträgen geködert. Die Leute werden alle irgendwelche Jobs bekommen.

Heyenn:

Wenn Sie von der TU kommen, habe Sie vielleicht schon Ihren Vertrag in der Tasche. Aber bei Geisteswissenschaftlern ist das nicht so.

Abendblatt:

Zu etwas anderem: Mit Steuergeld den Rückkauf der Energienetze zu bezahlen, ist das richtig?

Heyenn:

Der Rückkauf wird nicht aus Steuern finanziert, sondern kreditär, zum Beispiel von einem öffentlichen Unternehmen. Und weil entsprechende Gewinne fließen, trägt sich das selbst. Da besteht überhaupt kein Risiko. Energieversorgung gehört zur öffentlichen Daseinsvorsorge. In Hamburg wird jährlich 15 000 sozial schwachen Haushalten der Strom abgestellt. Was würden Sie machen, Frau Suding, wenn man Ihnen den Strom abstellt?

Suding:

Eine Kerze anmachen.

Heyenn:

Ohne Strom funktioniert nichts mehr, dann können Sie sich unter die Brücke legen.

Suding:

Jeder Bürger in Hamburg kann, zur Not mithilfe des Sozialstaats, seine Stromrechnung zahlen.

Abendblatt:

Und kann Hamburg ohne Schuldenbremse künftig noch seinen Strom zahlen?

Heyenn:

In Hamburg haben wir strukturelle Defizite an den Hochschulen, an den Schulen, insbesondere an der Bausubstanz, in der Infrastruktur wie den Straßen. Überall fehlt es an Ausstattung und Investitionen. Und jetzt soll noch der öffentliche Dienst Personal einsparen. Wenn die Schuldenbremse so umgesetzt wird, wird es bis 2020 zu einem Stillstand in der Stadt kommen. Dann brauchen wir kein Parlament mehr, sondern nur noch einen Buchhalter.

Suding:

Ich bin befremdet. Aus dem Haushalt gehen fast zehn Prozent für Zinsen drauf. Das finde ich extrem ungerecht. Es gibt genug Sparpotenzial. Hamburgs Personalbestand ist im letzten Jahr um 2,1 Prozent gewachsen. Die Aufgaben der Stadt sind aber nicht gewachsen. Wie erklären Sie das?

Heyenn:

Aber selbstverständlich sind die Aufgaben gestiegen ...

Suding:

Wo denn?

Heyenn:

... die Anzahl von Hartz-IV-Empfängern ...

Suding:

Die ist viel niedriger geworden.

Heyenn:

... dieses komische Bildungspäckchen, da muss ganz viel für gemacht werden. In den Schulsekretariaten, der Sozialbehörde, den Bezirksämtern. Die Aufgaben steigen ständig, reden Sie doch mal mit Personalräten.

Suding:

Also, a) haben wir weniger Arbeitslose, die Zahl sinkt noch und b) ...

Heyenn:

Die Arbeitslosenstatistik kann man sich hinter den Spiegel kleben.

Suding:

Ach, die stimmt also nicht?

Heyenn:

Ne, die stimmt schon seit Jahrzehnten nicht, das ist schöngerechnet.

Suding:

Bei 66.000 Beschäftigten in Hamburg finde ich immer Beispiele, wo ich nicht kürzen kann. Aber Sie können doch nicht sagen, dass es nirgendwo möglich ist, Personal zu reduzieren.

Heyenn:

Wo wollen Sie denn kürzen?

Suding:

Es gibt durchaus Aufgaben, die kommen im Bezirksamt an, gehen dann weiter in die Behörde, dann gehen sie von Behörde zu Behörde ...

Heyenn:

Geben Sie mal ein Beispiel.

Suding:

Die Arbeitsstelle Vielfalt, die ist ja zum Glück jetzt abgeschafft worden.

Heyenn:

Das war ein ganz kleiner Stab von zwölf Leuten. Aber die SPD will 250 Leute pro Jahr streichen. Und Sie wollen noch mehr entlassen.

Suding:

Wir müssen niemanden entlassen, wir haben eine natürliche Fluktuation. Wir müssen einfach jede zweite frei werdende Stelle nicht wieder besetzen. Und einen politischen Druck ausüben, in der Verwaltung nach Einsparpotenzialen zu suchen.

Heyenn:

Sie erzeugen damit Druck auf die Beamten und die Angestellten, die die Arbeit jetzt schon kaum schaffen. Das ist unzumutbar.

Abendblatt:

Frau Heyenn, Hamburg hat 25 Milliarden Euro Schulden und hat dafür 28 Milliarden Euro an Zinsen gezahlt, an private Banken. Das kann doch die Linkspartei nicht freuen.

Heyenn:

Nein, das ist richtig. Die grundsätzliche Frage ist ja, wie man öffentliche Haushalte betrachtet. Ein privater Haushalt ist im Idealzustand komplett schuldenfrei. Das kann man aber nicht als Maßstab für einen öffentlichen Haushalt anlegen, weil der Staat besondere Aufgaben hat und auch antizyklisch wirken muss. Das Geld dafür ist da. In Hamburg steigen die Privatvermögen jede Minute um 17 800 Euro an. Das private Geldvermögen in Hamburg ist weit höher als die Schulden.

Suding:

Wo ist das Problem?

Heyenn:

Dass wir trotz dieses Reichtums große Probleme haben.

Abendblatt:

Sie haben beide Kinder. Sind Sie in Sorge um deren Zukunft?

Suding:

Ja, ich mache mir Sorgen darüber, dass meine Kinder - die sind ja noch recht klein - von immer höheren Staatsschulden und Zinsbelastungen erdrückt werden. Gleichzeitig verlangt man von ihnen, dass sie privat Geld zurücklegen, damit sie überhaupt eine Rente beziehen werden. Das ist eine Entwicklung, die schon meine Generation arg in die Zange nimmt, und das wird meine Kinder noch stärker treffen.

Heyenn:

Also, so abstrakt denke ich nicht über meine Kinder, ich sehe das eher konkret. Am Beispiel meiner Kinder, die studieren, sehe ich, dass diese Generation kaum Möglichkeiten hat, das Leben zu gestalten. Wir haben immer mehr junge Leute mit befristeten Arbeitsverträgen, und jeder, der verantwortungsvoll ist, gründet mit einem Jahresvertrag keine Familie. Ich würde wahnsinnig gern Oma werden, aber da muss ich wohl noch lange drauf warten.