Hans-Friedrich Techentin hat 1999 in Sasel einen Streifen Land von der Stadt gepachtet - zur Freude der Behörde. Jetzt der Gebührenschock.

Sasel. Es fällt schwer, den Ort zu wechseln, wenn die Wurzeln tief reichen. Doch Hans-Friedrich Techentin, 85, hat keine andere Wahl. Er hat Post vom Bezirksamt Wandsbek bekommen: Um 4604 Prozent sollen die Gebühren ab sofort steigen, die das Ehepaar für 98 Quadratmeter Land bezahlt, das ihr Grundstück von der Straße trennt. Statt 25 Euro im Jahr sollen es nun 98 Euro im Monat sein. Andernfalls seien die "Zäune, Büsche und Bäume" bis September zu entfernen, schreibt eine Mitarbeiterin vom "Zentrum für Wirtschaftsförderung", das zum Bezirksamt Wandsbek gehört.

"KEINE ANWACHSGARANTIE!" steht auf dem Kostenvoranschlag des Gärtners, den Hans-Friedrich Techentin von sich weghält, als würden die Großbuchstaben ihn anschreien. Er lässt den Blick durch den üppigen Garten vor seinem Saseler Einfamilienhaus streichen. "40 vorhandene Heckenpflanzen, Höhe bis 1,80 Meter, zurückschneiden, auspflanzen und hinter dem Zaun neu setzen." Das liest Herr Techentin vor, als wäre es eine Traueranzeige. Doch weil er sehr gewissenhaft ist, hat er das Angebot selber eingeholt.

"Als ich die Behördenpost las, dachte ich zuerst an einen Irrtum", sagt der 85-Jährige. Schließlich habe er kaum noch an die unsichtbare Grenze gedacht, als er beinahe täglich seine Bauernrosen pflegte, Unkraut jätete und die Hecken immer größer wurden. Aber die Schreiben des Bezirksamtes Wandsbek, das sich seit Mai mehrfach gemeldet hat, sind ernst gemeint: 98 Euro pro Monat. Das kann sich der S-Bahn-Werkmeister im Ruhestand nicht leisten. Er weiß das genau, denn seit seine Frau stärker unter Parkinson und Herzproblemen leidet, rechnet er viel. Im Wohnzimmer, wo Kristallkaraffen auf gestickten Untersetzern thronen, liegen Prospekte von Seniorenheimen auf dem Esstisch. Daneben Zettel, auf denen Posten durchgerechnet wurden: "2 x Abendessen pro Woche, 3 x Abendessen pro Woche ..." Viel Spielraum habe man da nicht, sagt Herr Techentin und lächelt. Nicht, weil das lustig wäre, aber um seinen Gesprächspartner nicht zu erdrücken mit all diesem Ernst. Er ist ein freundlicher Herr.

Aber die Geschichte über seinen Garten, die von Dankbarkeit und bürokratischem Vergessen handelt, beginnt in den 80er-Jahren, als die Walddörfer kräftig wuchsen. Der Frahmredder vor Techentins Haustür erschien der Verwaltung zu schmal für die vielen Autos, also trennten sie ein Stück Land von den Gärten ab, um es für eine Verbreiterung der Straße zu reservieren. Verbreitert wurde die Straße nie, aber als die Eheleute Techentin 1992 in ihr Haus einzogen, fanden sie vor ihrem Garten eine Brache mit Gestrüpp und Müll. Öffentliche Flächen laden dazu ein, und so war man im Bezirksamt erfreut, als das Ehepaar sich 1999 meldete, um sich um das Land zu kümmern. Die Pläne für eine Verbreiterung der Straße müssen damals bereits obsolet gewesen sein, denn die Stadt bot prompt den Kauf an. 52 000 Mark. Sasel ist nicht billig.

"Mensch, in eurem Alter kauft man doch kein Land mehr", das hätten Freunde damals den Eheleuten geraten. Also boten sie an, sich als Mieter um die kleine Parzelle zu kümmern. Die Stadt berechnete für diese "Sondernutzung" pro Jahr 50 Mark Gebühr. Dafür durfte das Ehepaar einen Zaun drum herumziehen. Und in der Verwaltung war man froh, eine Problemzone mit Gestrüpp und Abfall weniger zu haben. "Aber das wissen die in der Behörde wohl nicht mehr", sagt der Rentner. "Unter den Briefen steht jedenfalls ein anderer Name als früher."

Mit den Techentins hatte die Stadt aufmerksame Betreuer für ihr Land gefunden, das ansonsten nutzlos ist. "Gar nicht erst anfangen zu schludern, sonst geht man unter", sagt Techentin, als er durch das Haus geht. Seit 2005 pflegt er seine Frau, bügelt Wäsche, saugt Staub, mäht den Rasen. "Wir wollen es schön haben in unseren letzten Jahren."

Unten im Keller hat der Rentner Akkordeon und Tonbandgerät stehen, früher spielte er "weltberühmte klassische Melodien", wie auf einem Notenbuch steht. Doch das Musizieren sei ihm seit dem Streit um seinen Garten vergangen. "Da hat man plötzlich Probleme, gegen die man nicht ankommt."

Über seinem Musiksessel hängt ein Zeitungsartikel mit Foto, es zeigt ihn 1942 als 16-Jährigen, wie er vor Soldaten in Dänemark ein Liedchen spielt. 1926 ist der Hamburger geboren. Fünf Jahre lang war er in russischer Kriegsgefangenschaft. "Obwohl ich nie in Russland war", sagt er, als krampfartig Tränen in seine Augen schießen. Eine Tür weiter steht ein Regal voller hochhackiger Schuhe, sauber gebürstet. "Von Frauchen", sagt er. Aber diese Schuhe werde sie wohl kaum mehr anziehen können. "Ihr Zustand", sagt er und sucht nach einem knappen Begriff, "... ist traurig."

Im Bezirksamt verweist man lediglich auf eine überarbeitete Gebührenordnung. Eine Sprecherin zum Abendblatt: "Der Nutzer wurde darauf hingewiesen." Zurück im Garten sind die Gedanken wieder bei den Hecken. "Wir können die nicht wegwerfen, die leben doch." Verantwortung gibt der Rentner offenbar nie ab. Kürzlich bewilligte die Krankenkasse seiner Frau eine Pflegestufe. Nicht, weil sie sich zuvor geweigert hätte - Herr Techentin hatte keine Hilfe beantragt. Die bräuchte er aber, wenn er seinen Garten wirklich umbaut. Der Gärtner will 3200 Euro haben, inklusive "Plattwalzen des Beetes". "Wenn die Stadt die Straße verbreitern würde, könnte ich verstehen, dass sie ihr Land zurückwill", sagt Techentin. Er hat angeboten, 200 Euro im Jahr zu zahlen, achtmal so viel wie bisher. Denn die Wurzeln sollen bleiben, wo sie sind. "Solange wir leben, das wäre schön."

Und was ärgert Sie?

Behördenwillkür, kaum nachvollziehbare Entscheidungen, Sturheit - zwar ist die Verwaltung glücklicherweise flexibler und bürgernäher geworden, dennoch gibt es immer wieder Fälle, bei denen der sprichwörtliche Amtsschimmel laut wiehert. Ist so etwas Ihnen auch schon widerfahren? Kennen Sie weitere Fälle?

Wenn ja: Schreiben Sie uns. Schicken Sie eine E-Mail an lokales@ abendblatt.de (Betreffzeile "Willkür") oder einen Brief ans Hamburger Abendblatt, Lokalredaktion, Axel-Springer-Platz 1, 20355 Hamburg, Stichwort: Willkür.