Kinderfreundliche Einstellung der Gesellschaft ist für eine positive Entwicklung der Geburtenrate wichtiger als finanzielle Hilfen des Staates

Man mag es kaum glauben, aber die Zahl der Geburten in Hamburg nimmt um ungefähr ein Prozent zu und das in praktisch allen Stadtbezirken. Greift nun die Politik Ursula von der Leyens, die seinerzeit das Elterngeld in Deutschland eingeführt hat? Oder sind es gar die Medien, die seit einigen Jahren in fast jeder Ausgabe von der Überalterung der Gesellschaft in Deutschland und dem Geburtenrückgang und dessen Folgen berichten? Oder ist es die Konjunktur in Deutschland, die die Anspannung weichen lässt und das Thema Familienplanung wieder in den Mittelpunkt rückt? Ich glaube, es stimmt ein wenig von allem, und doch glaube ich, dürfen wir uns die Situation in Deutschland nicht schönreden, nur weil da in Hamburg ein paar mehr Menschenkinder das Licht der Welt erblickt haben. Einen Großteil der Zunahme erkläre zumindest ich mir durch ein Umverteilungsphänomen. Viele Familien ziehen wieder in die großen Ballungsräume, und das nicht unbedingt deshalb, weil sie es dort so schön finden und weil das Leben dort so attraktiv ist, sondern weil die Möglichkeiten, dort bei relativer örtlicher Konstanz mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Job zu finden und auch bei eventuellen Jobwechseln in der globalisierten Arbeitswelt mit Hamburg einen guten Standort zu haben. Das jedenfalls bekomme ich immer wieder in meiner Sprechstunde mit: Paare, die sich Hamburg bewusst als Wohnort ausgewählt haben, weil es verkehrstechnisch gut liegt und man von dort aus fast jeden Ort der Welt schnell erreichen kann. Und das muss man in vielen Jobs heute. Wir Hamburger sollten uns also nicht blenden lassen von unserem Geburtenanstieg ...

Vielmehr geht es doch eigentlich darum, dass wir es in den vergangenen Jahrzehnten verlernt haben, dass Kinder ganz selbstverständlich zu unserem Leben gehören und die Normalität sind - und das nicht erst in der zweiten Hälfte unserer Dreißiger. Es gelingt uns in vielen Fällen einfach nicht mehr, die Schwangerschaft und den daraus resultierenden Nachwuchs als Wunder und als Geschenk zu begreifen. Stattdessen ist die Schwangerschaft in unserer technisierten Welt zu einem - wenn möglich zu vermeidenden - Projekt mit kalkulierbaren und zu benennenden gesundheitlichen, finanziellen, beruflichen und sonstigen Risiken geworden. Es ist doch klar, dass es mit Kindern nicht ganz so leicht fällt, Weltreisen zu unternehmen, und dass Vier- und Fünf-Sterne-Hotels auf Jahre hinaus unerreichbar werden oder bleiben. Dass aber der Campingurlaub mit Zelt und Schlafsack und Abenteuern im Wald letztendlich viel spannender sein kann, kann man sich eben erst vorstellen, wenn man selber in der Situation ist.

Jeder einzelne kann etwas dazu tun, dass junge Paare sich wieder früh und für mehrere Kinder entscheiden, und sei es auch nur, sich in der U-Bahn nicht über Kindergeschrei zu mokieren und sich abzuwenden, sondern Unterstützung anzubieten. Und wenn man sich schon nicht aufdrängen möchte und keine freundlichen Worte findet, so hilft doch manchmal schon ein verständnisvolles Lächeln. Um diese winzigkleine Unterstützung im täglichen Leben geht es oftmals, die junge Frauen und Familien vermissen und die sich Kinder deshalb nicht "antun" wollen. Es geht um Wertschätzung: "Toll, du bist Mutter. Toll, du hast ein Kind." Finanzielle Unterstützung kann ein gewisser Anreiz oder Ausgleich sein, aber sie muss begleitet sein von einer positiven kinderfreundlichen Grundeinstellung in unserer Gesellschaft. Und an der müssen wir weiter konsequent arbeiten. Unterstützt werden wir vom Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs, das Kindergelache nicht mehr als Lärm, sondern als etwas ganz Normales definiert. Grund: Das "Interesse der Allgemeinheit an einer kinder- und jugendfreundlichen Umgebung."

In jedem Fall aber braucht es Mut zu einer irreversiblen Entscheidung, bei der wir uns gegenseitig unter die Arme greifen sollten. Kinder sind eine solche Entscheidung und ob man will oder nicht: "Aus der Nummer kommste nicht mehr raus"... Und wie schön ist das!