Seit 40 Jahren handelt Joachim D. Matthies mit Briefmarken und Münzen. Wer bei ihm stöbert, reist unterhaltsam durch deutsche und hamburgische Geschichte

Neustadt. "Moin!" Voller Hoffnung betritt der Mann mit der Lederweste und der Goldrandbrille den winzigen Laden in den Colonnaden, zwei schwere Koffer im Schlepptau, prall gefüllt mit Alben. Komplette Jahrgänge sind enthalten, vereinzelt Raritäten. Liebevoll gesammelt, mehrere Tausend Marken, teilweise postfrisch, von den Großeltern geerbt. Ein Schatz?

Wenige Minuten später ist der Traum geplatzt. Wie so oft. Händler Joachim D. Matthies sondiert die Sammlung, prüft Einzelstücke und gibt dann sein Angebot ab: "200 Euro." Am meisten wert seien noch die alten Alben. Der Mann schluckt, bedankt sich dennoch, packt die Koffer. Auf zum nächsten Briefmarkenhöker.

"Wer nett fragt, erhält eine nette Antwort", murmelt Matthies. "Ob sie gefällt, ist ein ganz anderes Thema." Etwa zehnmal am Tag steht ein Anbieter in seinem Geschäft, um die vermeintlichen Prunkstücke der Philatelie zu versilbern. In der Regel ohne Verkaufsabschluss. "Die Leute klappern anschließend die Konkurrenz ab", weiß er, "und irgendwann stehen sie dann wieder hier vor der Tür." Desillusioniert; denn mit Briefmarken ist kein Geschäft mehr zu machen. Zumindest kein gutes. "Die Leute kommen mit einem Einfamilienhaus unterm Arm", sagt er, "und gehen mit einem Türdrücker wieder raus." Der Markt der Marken ist kollabiert.

Kaum einer weiß das besser als Joachim D. Matthies. Vor vier Jahrzehnten, genau am 20. Juli 1971, eröffnete der gebürtige Hamburger seinen kleinen Laden hinter der Staatsoper: Briefmarken und Münzen auf neun Quadratmetern. Plus Keller. Rund eine Million Marken aus aller Herren Länder, mehr als 50 000 Münzen, alle möglichen Medaillen und andere kleine Schätze lagern hinter Panzerglas auf kleinstem Raum. Zusätzlich sichert eine Alarmanlage die außergewöhnliche Sammlung.

Dafür ist er einer der kleinen Könige der Hansestadt, eine Koryphäe auf seinem Spezialgebiet, Tresen, Hocker und Aquarium inklusive. Die Pluspunkte seiner Selbstständigkeit genießt Matthies tagtäglich; die Nachteile versucht er durch Flexibilität wettzumachen. Rund 30 000 Kilometer jährlich reist er durch den Norden, um sich Sammlungen anzuschauen. Oft ist die Mühe vergebens, doch man weiß nie. Schnäppchen gibt es immer wieder. Es könnten jene Raritäten in Kellern, auf Dachböden oder in Opas verstaubtem Album schlummern, die auch heutzutage noch reellen Ertrag bringen. So wie die letzten Marken, die Deutsch-Südwestafrika vor dem Ersten Weltkrieg mit einer Diamantenlieferung verließen.

Der Rest sieht teilweise prachtvoll bunt aus, ist aber nichts wert. Daran ändern auch die Preisangaben im "Michel" nichts, seit Generationen Nachschlagwerk und Grundlage für Preisbemessung der deutschen Philatelisten. Was nach 1960 gekauft wurde, ist kaum noch an den Sammler zu bringen. Selbst postfrische Briefmarken, die nie zum Einsatz kamen, also nicht gestempelt sind, haben nur noch Liebhaberwert.

Auch wer alte englische Marken feilbietet, kann ein finanzielles Waterloo erleben. Und tausendmal ein Euro "Michel"-Wert bringen bestenfalls ein mitleidiges Lächeln des Händlers. Kiloweise lagert solche Ware in den Kellern. Marken mit Milliardenauflagen kosten gerade mal zwei Euro pro Kilo. Wenn überhaupt. Es passt ins Bild der aktuellen Marktlage, dass sich auf Facebook jüngst eine Sammlergruppe gründete: "Als ich jung war, musste man Briefmarken noch ablecken." In der Neuzeit wird maschinell frankiert, online gekauft und selbst ausgedruckt - oder gar nicht mehr geschrieben.

Das war noch ganz anders, als Matthies seine Liebe zur Philatelie entdeckte. Kurz nach Gründung der Bundesrepublik war das, und die Mutter in Groß-Borstel förderte das Faible ihres sechsjährigen Sohnes. Schließlich konnte man durch Briefmarken eine Menge über Geschichte und Geografie lernen. Zumal die geschäftlichen Umtriebe eines Verwandten Matthies' Kaufmannsmentalität erweckte: Erich Buschmann, eigentlich ein Lehrer, betätigte sich einträglich und lustvoll als Briefmarkenhändler. Schwerpunkt Versandgeschäft. Die Sache lief formidabel.

Doch erst einmal lernte Joachim Matthies von 1962 bis 1964 Koch im Atlantic-Hotel an der Außenalster, arbeitete anschließend in Travemünde sowie im Europäischen Hof am Hauptbahnhof. 1966 heuerte er bei Briefmarken-Hellweg in der Kleinen Johannisstraße an. In Fachkreisen eine urhanseatische Institution. Vielleicht wäre er dort geblieben, hätte ihn nicht 1971 eine Kleinanzeige im Hamburger Abendblatt gelockt. "Kleiner Schokoladenladen in den Colonnaden 70 zu vermieten", stand dort. Über den Makler Iska Holtz ging alles ganz schnell: Am 20. Juli 1971 war Joachim Matthies sein eigener Chef. Wohlgemerkt auf neun Quadratmetern. "Klein, fein, mein."

Und jetzt, zum 40. Geschäftsgeburtstag, ist er selbst eine Institution. Kauft, verkauft, von Händlergeist beseelt, gibt Auskunft, berät, reist und tröstet. Werktags von 10 bis 17 Uhr hat er geöffnet, und daran soll sich auch mit bald 66 Jahren nichts ändern. In seiner Freizeit engagiert sich Matthies als Ehrenpräsident der deutschen Aquarianer; daher auch das kleine Aquarium mit den asiatischen Bärblingen hinterm Tresen in seinem Ladengeschäft.

In den kleinen Schaufenstern davor liegen kleine und große Schätze. Man muss plietsch und flexibel sein, um dem Niedergang der Philatelie zu trotzen. Wer bei Matthies stöbert und seinen Geschichten lauscht, reist unterhaltsam durch die deutsche und hamburgische Geschichte. Hamburger Briefmarken von 1907 sind zu sehen, ein uralter preußischer Taler, ein Orden von 1914, für Verdienste um die Freiwillige Feuerwehr der Hansestadt. In einem mit Plüsch verkleideten Holzkästchen ruhen Sammlergold und Silber, Bismarck-Medaillen, ein Block der Nothilfe aus dem Deutschen Reich, auf Brief gestempelt: Matthies' teuerstes Einzelstück soll 12 000 Euro bringen. Von 1881 stammt eine Messingmedaille, von 1886 ein Zinntaler. Der Erlös war für den Neubau des Rathauses bestimmt. Mit Medaillen wurde schon 1813 für einen "Krankenhof" gesammelt.

Und wer Exotisches sucht, findet Kugelgeld aus China, in Form eines geheimnisvoll verzierten Metallklumpens. Die ganze Welt ist zu haben im Laden von Joachim D. Matthies, einer nicht einmal zehn Quadratmeter großen Schatztruhe mitten in der Stadt.