Für sein Nein zu Steuersenkungen erhält der Finanzminister Beifall von der falschen Seite. Die Kanzlerin wird ihm dafür noch dankbar sein

Berlin. Wer schon so viel erlebt und über- lebt hat wie Wolfgang Schäuble, der lässt sich auch durch Lob von der falschen Seite nicht verwirren. Der Finanzminister ist zurzeit so etwas wie der Star der Opposition. Als SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier der Regierung „Dienst nach Vorschrift“ bei der Euro-Krise vorwarf, nahm er Schäuble von dieser Kritik ausdrücklich aus. Grünen-Chef Özdemir erklärte Schäuble wegen dessen Ablehnung von Steuersenkungen zum „Lichtblick in dieser Regierung“. SPD-Chef Gabriel forderte den CDU-Minister auf, in der schwarz-gelben Koalition sein Veto einzulegen.

Jeder andere Regierungspolitiker hätte sich so viel Zustimmung vom politischen Gegner verbeten und sich schnell ans eigene Lager gekuschelt. Schließlich hat das SPD -Lob vor allem den Sinn, Uneinigkeit in der Koalition aufzuzeigen und weiter zu säen. Doch noch besser als die SPD schafft das Schäuble selbst. Er hat in den letzten Wochen ganz bewusst zwei Anschläge auf das Bündnis zwischen Union und FDP verübt. Das erste, als er öffentlich über ein vertrauliches Gespräch mit dem neuen FDP-Chef Philipp Rösler berichtete und ihn als „sachkundig und liebenswürdig“, mit einem „hohen Maß an Humor“ beschrieb – also als politische Null. Auch das zweite Attentat galt der FDP, als er deren angeblich mit der Kanzlerin vereinbarten Steuersenkungspläne als undurchführbar abtat.

Für die unter 40-jährigen FDP- Azubis um Rösler ist es ein besonderes Pech, dass sich ausgerechnet der 68- jährige Schäuble zu ihrem Hauptgegner aufgeschwungen hat. Wollte man das politische Gewicht der Kontrahenten bemessen, dann läge in der einen Waagschale ein Klotz Urgestein, in der anderen eine Handvoll Murmeln. Der Finanzminister, vor einigen Monaten noch wegen gesundheitlicher Probleme und wegen seines rüpelhaften Verhaltens gegenüber seinem Pressesprecher am Rande seines politischen Endes, fühlt sich offenbar stark wie nie. Er ist es, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel schwach wie nie ist.

Merkel hatte Schäuble ja vor zwei Jahren als Garanten für Solidität und Augenmaß zum Finanzminister gemacht. Wenn er diese Rolle nun so entschlossen wahrnimmt – wie soll sie ihn da in die Schranken weisen? Merkel hat Schäuble auch, als er krank war, das alleinige Entscheidungsrecht über einen Rücktritt überlassen – wie soll sie ihn jetzt absetzen? Es wäre ein Eingeständnis des Scheiterns. Und einen Nachfolgekandidaten für Schäuble hat sie auch nicht mehr, weil Thomas de Maizière schon das Verteidigungsministerium übernehmen musste. Über Schäubles Motive, die Koalition so zu beschädigen, kann man natürlich nur mutmaßen. Ganz offensichtlich setzt er über das Wahljahr 2013 hinaus nicht mehr auf ein Bündnis mit der FDP. Er ist überzeugt davon, dass der Staat seine Finanzen in Ordnung bringen muss. Er weiß, dass dies die meisten Wähler, auch die meisten CDU-Wähler, ebenso sehen. Deshalb will er die Bundeskanzlerin davor bewahren, durch eine erneute Kehrtwende vollends ins Schleudern zu geraten.

Angela Merkel hat ja bisher schon einen atemberaubenden Schlingerkurs in der Steuerpolitik hingelegt. In den Wahlkampf 2009 zog sie, der FDP zuliebe, mit weitreichenden Senkungsplänen. Gesenkt wurde zunächst einmal die Mehrwertsteuer für Hoteliers, was der Koalition in der öffentlichen Meinung einen Schlag versetzte, von dem sie sich bis heute nicht erholt hat. Dann wurden die Auswirkungen der Finanzkrise für die Staatskassen sichtbar, die Euro-Krise kam hinzu, bis Merkel endlich im Herbst 2010 auf erneute Steuer- senkungsforderungen des damaligen Vizekanzlers Westerwelle erwiderte: „Das ist jetzt nicht Regierungshandeln.“ Und nun soll es plötzlich doch Regie- rungshandeln werden? Steuersenkun- gen, die über kosmetische Korrekturen an der sogenannten „kalten Progressi- on“ hinausgehen, würden der Union bei der nächsten Bundestagswahl schaden und der FDP nicht mehr helfen.

Vielleicht ist Merkel noch dankbar dafür, dass sie sich hinter Schäubles Nein verstecken kann, wenn die jetzt angekündigten Steuersenkungen doch nicht kommen. Der Finanzminister, der Unregierbare in der Regierung, ist in diesem Sinne ein Hoffnungsträger. Schäuble wird gewiss nicht einknicken, und vor dem Lob der Opposition ist ihm nicht bang. Er gibt es sogar höflich zurück. Für Dienstag, wenn der mögliche SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, Schäubles Vorgänger, für sein Buch „Unterm Strich“ geehrt wird, wird in der Einladung als Festredner angekündigt: Wolfgang Schäuble.