Rüdiger Nehberg sprach beim Freitagsgebet in St. Georg über seinen Einsatz gegen Genitalverstümmelung bei Frauen

St. Georg. Es ist sein "größtes Abenteuer". Nicht so spektakulär wie seine Atlantikquerung auf einem Baumstamm. Nicht so gefährlich wie sein wortwörtlich nacktes Überleben im brasilianischen Dschungel. Und nicht so fotogefällig wie einst sein Kuschelkurs mit einer giftigen Riesenschlange. Dafür sei seine aktuelle Mission wichtiger, nachhaltiger, relevanter. Rüdiger Nehberg führt seit mehr als zehn Jahren einen friedlichen Kampf gegen einen "blutigen Brauch", gegen Genitalverstümmelung, bei der zu 90 Prozent muslimische Mädchen an Körper und Seele verletzt werden.

Am Freitag, bei der bedeutungsvollsten Gebetsstunde der Woche, sprach der 76-Jährige erstmals in einem islamischen Gotteshaus, in der Centrum-Moschee an der Böckmannstraße, über die Grausamkeiten dieses mehr als 5000 Jahre alten Ritus, der bis heute oft als "religiös motiviert" gerechtfertigt wird. "Im Koran steht davon nichts geschrieben", sagte der Menschenrechtler, der vor drei Jahren mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet wurde. Auf einer Konferenz in Ägypten sei es ihm 2006 gelungen, die höchsten islamischen Geistlichen dazu zu bewegen, den Brauch zu ächten und als "Sünde" zu betrachten. Das "Goldene Buch", das Nehberg mit seiner Frau Annette herausgebracht hat und aus dem am Freitag erstmals in einer Moschee in Deutschland gelesen wurde, dokumentiert dieses Ergebnis und soll in mehr als vier Millionen Moscheen weltweit als Predigtgrundlage dienen.

"Ich möchte, dass die Dialogfähigkeit dieser Weltreligion wieder mehr im Fokus steht als die kriminellen Machenschaften einiger Terroristen", so Nehberg. Aufgeregt, "positiv angespannt" war der gelernte Konditor vor seiner Ansprache. "Das bin ich vor jedem Abenteuer, das gehört dazu", sagte der gebürtige Bielefelder, der mit seiner Frau in einer umgebauten Mühle im schleswig-holsteinischen Rausdorf lebt. "Es ist eine große Ehre, meine Botschaft heute hier in dieser Moschee verkünden zu dürfen."

Tatsächlich war dieser Besuch so ungewöhnlich, als predige ein den meisten unbekannter Referent während des Sonntagsgottesdienstes von der Kanzel im Michel. "Der Vortrag war interessant, die Fotos verstörend", sagte ein junger Moslem. "Über das Thema habe ich mir noch nie Gedanken gemacht", sagte der Mann, der im Alltag einen Linienbus über Hamburgs Straßen lenkt.

Mehr als 150 Millionen Frauen aus 35 Ländern seien beschnitten, sagte Rüdiger Nehberg. Und alle elf Sekunden kommt laut Uno-Bericht ein weiteres Mädchen dazu. Meist würden Klitoris und Schamlippen mit einem Rasiermesser weggeschnitten, die Vagina mit Dornen zugetackert. "Für diese Verbrechen gibt es in unserer Religion keine Grundlage", sagte der Arzt Mustafa Yoldas, Vorsitzender der Schura, des größten Dachverbands der Muslime in Hamburg. "Es ist wichtig, dass wir als Hamburger diese Initiative des Ehepaars Nehberg unterstützen." Annette Nehberg, die mit ihrem Mann die Organisation Target (engl. Ziel) leitet, wies darauf hin, dass Genitalverstümmelung nicht nur weit weg "irgendwo in Afrika oder Ägypten" ein Problem sei, sondern auch Migrantentöchter in der Hansestadt betreffe. "Manche werden in die Heimat geschickt, wo das grausame Ritual vollzogen wird."

Als das Ehepaar Nehberg vor etwa sechs Jahren - bewegt durch den Bestseller "Wüstenblume" des somalischen Supermodels Waris Dirie - den Kampf gegen Genitalverstümmelung aufnahm, hätten viele mit dem Kopf geschüttelt. Seinen Einsatz für muslimische Frauen hätten einige für die "größenwahnsinnige Idee eines senilen Alten" gehalten, sagte Überlebenskünstler Rüdiger Nehberg, auch "Sir Vival" genannt. Doch hat Nehberg ein Ziel, dann verfolgt er es. "Mit unverwüstlicher Dynamik und beeindruckender Energie", wie am Freitag Mustafa Yoldas sagte.

Der Vorsitzende der Schura war dabei, als Nehberg ein Banner mit seiner Botschaft - einem Aufruf gegen Genitalverstümmelung - zwischen den beiden 21 Meter hohen Minaretten der Centrum-Moschee spannte. Und das soll erst der Anfang sein: Rüdiger Nehberg träumt von einem Transparent über der Kaaba, dem zentralen Heiligtum des Islam, in Mekka. "Das würden Millionen von Menschen sehen und die positive Kraft der Religion würde in die ganze Welt ausstrahlen", sagt Nehberg. Zum Schluss präsentierte der 76-Jährige unter Beifall ein Bild, das bereits ein solches Banner über Mekka zeigte.

Noch ist es eine Fotomontage.