Nach 75 Jahren fällt heute endgültig der letzte Vorhang im Ohnsorg-Stammhaus an den Großen Bleichen. Ein Abschiedsbesuch.

Ohnsorg. Heute Abend öffnet sich zum letzten Mal der Vorhang für Heidi Mahler, Sandra Keck, Manfred Bettinger und das "Brand-Stiftung"-Ensemble im Stammhaus von Hamburgs niederdeutschem Traditionstheater. Den Schauspielern gehen Erinnerungen an die "guten alten Zeiten" durch den Kopf und auch Wünsche für den Neustart im Bieber-Haus am Hauptbahnhof. Nach 75 Jahren auf dem Ohnsorg-"Nudelbrett" an den Großen Bleichen beginnt im August für das Theater und sein Publikum eine neue Ära.

"Ich hoffe, dass wir etwas vom plattdeutschen Geist im neuen Haus erhalten können", sagt Heidi Mahler. Die wird sich erfüllen, denn allein ihr Auftreten und ihre Treue zum Haus garantieren doch, dass Seele und Tradition des Ohnsorg sich fortsetzen. Sie freut sich auf das großzügigere Theater und zitiert sinngemäß Hermann Hesse: "Wie heißt es noch in seinem Gedicht? Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben." Die Schauspielerin stand bereits als Gör von vier Jahren auf den Ohnsorg-Brettern. "Ich sollte ein Gedicht aufsagen und mochte das gar nicht." Aus einem gut gemeinten Scherz ist professioneller Ernst geworden.

Die Tochter von Heidi Kabel kam 1964 ins Ensemble, gehörte 20 Jahre lang dazu und stand in vielen Stücken mit ihrer Mutter auf der Bühne. Gern erinnert sie sich an "Oh, düsse Öllern" und "Op Düvels Schuufkoor" oder an die "Mudder Mews". Mit Fritz Stavenhagens Klassiker erging es der Tochter wie der Mutter. Beide bekamen zuerst die junge Elsbe zu spielen und später dann die Titelrolle. Tradition am Ohnsorg bedeutet auch Wahren und Wiederholen, aber unter neuen Vorzeichen. Als Kabel die böse, hartherzige Frau gab, war Heidi die unglückliche Schwiegertochter. 2006 übernahm sie dann selbst die Rolle der "Mudder Mews".

Auch Manfred Bettinger, seit 1982 am Ohnsorg, erlebte in zwei Stücken den Rollenwandel von jung zu alt. Er hat den Konfirmanden in "Swig still, Jung" gespielt und in einer zweiten Inszenierung dann dessen Verwandten Manfred: "Im Lauf der Jahre werden die Rollen schöner", erzählt er und lächelt. "Een gode Partie" war so eine Rolle, allerdings konnte seine Figur keine Sympathiepunkte beim Publikum gewinnen, was Bettinger gar nicht gefiel. Er solle doch endlich aufhören, hat ihm ein Zuschauer zugerufen. Könnt' man aber auch als Kompliment verstehen, als einen Beweis für Bettingers überzeugende darstellerische Leistung. Er wünscht sich fürs neue Haus, dass ganz viele Leute mitkommen. Nach einer Vorstellung habe er neulich einen Mann zu seiner Frau sagen hören: Diesen Weg gehen wir jetzt nie wieder. "Ich hoffe, dass die alten Abonnenten uns auch auf dem neuen folgen", sagt Bettinger.

Das wünscht sich auch Sandra Keck. Darum redet die Schauspielerin dem Publikum vor jeder Vorstellung in einer kurzen Ansprache gut zu, weckt die Neugier und macht Lust auf den Wechsel und die Überraschungen im neuen Theater. Sie selbst hat schon einige während ihrer 22 Jahre erlebt. Die erste war, dass der frühere Intendant Walter Ruppel zu ihr sagte: "Sie sind als Regieassistentin bei uns am Haus, aber sie müssen spielen." So bekam Keck ihre erste Rolle in "Dat Verwesselspiel". Als ein Kollege nicht beim Stichwort auf die Bühne kam, sagte die Anfängerin in Panik forsch: "Ich könnte jetzt einen Schwank aus meinem 20-jährigen Leben auf Hochdeutsch erzählen, aber das wäre nicht abendfüllend." Keck konnte damals nicht ob Platt improvisieren, musste es erst lernen.

Keck hat ihre Schublade in der Garderobe noch nicht ausgeräumt, weiß nicht, was als Andenken mitgeht. Andere Kollegen haben schon gepackt. Till Huster nimmt das Bild "Happy Huster" mit, das Erkki Hopf für ihn gemalt hat. Oberspielleiter Frank Grupe wird in seinem neuen Büro das Plakat zu seiner Inszenierung "De blaue Engel" mit den Autogrammen aller Darsteller aufhängen. Und Heidi Mahler? Hebt sich ein paar Bretter von der Bühne auf. "Nur für mich. Zur Erinnerung", sagt sie.