Das Theater zieht nach 75 Jahren von den Großen Bleichen zum Hauptbahnhof. Abschiedsflohmarkt am Sonnabend

Hamburg. Ein Stuhl des neuen Ohnsorg-Theaters steht bereits zum Probesitzen in der alten Spielstätte an den Großen Bleichen. Ganz ungeduldige Fans der Traditionsbühne können dort schon einmal das neue Haus fühlen: Edel und modern sind die Sessel gestaltet, mit schwarzen Lehnen und auberginefarbenem Stoff.

Doch bevor das Theater sein neues Quartier im Bieberhaus am Hauptbahnhof am 28. August bezieht, wartet auf Intendant Christian Seeler und sein Ensemble der Abschied von der alten Spielstätte. Nach 75 Jahren öffnet sich am Freitag ein letztes Mal der Vorhang an den Großen Bleichen - mit der Komödie "Brand-Stiftung". Am Sonnabend erwartet Seeler bis zu 3000 Besucher zu einem Abschieds-Flohmarkt an alter Stätte, dann geht das Theater bis Ende August in eine Sommerpause, in der das gesamte Theater umzieht.

"Ich bin, was den Umzug betrifft, relativ unaufgeregt. Einen Hamburger Jung kann so schnell nichts erschüttern", sagt Seeler. Das neue Theater sei so spannend, dass nur wenig Zeit für Abschiedsschmerz bleibe.

Seit drei Jahren plant der Intendant voller Neugier, Vorfreude und Lust zum Aufbruch das 15-Millionen-Euro-Projekt, das die Zukunft seines Hauses "zunächst einmal für weitere 30 Jahre sichern" soll. "Das ist ein verdammt langer Zeitraum. Man muss nur nach Berlin gucken, wo die Komödie am Kurfürstendamm nicht weiß, ob sie im kommenden Jahr noch am Kudamm produzieren kann", sagt Seeler, dessen Haus etwa 80 Angestellte hat. Das Theater war 1902 von Richard Ohnsorg unter dem Namen "Dramatische Gesellschaft" gegründet worden und hatte 44 Jahre später den Namen des Initiators erhalten.

"In der neuen Spielstätte im Bieberhaus liegt eine unglaubliche Chance", sagt Christian Seeler, der 1982 als jugendlicher Liebhaber in einem Stück an der Bühne begann, dann zum kaufmännischen Direktor aufstieg (1984-1992) und 1996 Intendant des damals kriselnden Theaters wurde. Mit der Wiederbelebung des Konzepts aus Komödien, Volksstücken und ernsten Stoffen führte er das Haus zum Erfolg zurück.

Von der Wirtschaftskrise blieb aber auch das Ohnsorg-Theater nicht verschont. "Die Finanzkrise hat uns sehr getroffen, wir haben seit Herbst 2008 in zwei Jahren zehn Prozent bei der Auslastung verloren", klagt Christian Seeler. Nun habe sich die Zahl der Besucher allerdings wieder deutlich stabilisiert. "Für die Spielzeit 2010/11 rechnen wir mit einer Auslastung von 83 bis 84 Prozent, im Jahr zuvor hatten wir 80 Prozent", sagt der 52-Jährige, der die Kartenpreise im neuen und moderneren Haus moderat um zwei Euro wird erhöhen müssen.

Im Bieberhaus will das Ohnsorg-Theater zu neuen Höhenflügen ansetzen und eine sanfte Weiterentwicklung zwischen Tradition und Moderne vollziehen. Aus den alten Räumen an den Großen Bleichen ist das Haus herausgewachsen. "Wir haben unsere Inhalte verändert und einen viel breiteren künstlerischen Anspruch. Der Umzug ist eine logische Konsequenz und eine gute Entwicklung", sagt der Intendant und fügt hinzu: "Wir schütteln etwas Patina aus unserem Fell. Das ist gerade für ein Volkstheater wichtig und gut."

"Das Ohnsorg-Theater hat eine herausragende Bedeutung für den Erhalt des Plattdeutschen, weil es Menschen allen Alters mit der Sprache zusammenbringt", sagt Heinrich Meyer vom Plattdüütsch Root för Hamborg. Das Theater habe sich mit der Aufführung von klassischen Stoffen von Storm, Goethe oder Kleist "ein kulturell anspruchsvolles Niveau" erarbeitet. Bleibe das Ohnsorg bei seiner programmatischen Mischung, werde der Umzug dem Theater einen noch größeren Zulauf bescheren, sagt Meyer.

Das Bieberhaus entspricht laut Seeler den modernsten Ansprüchen, bietet mehr Komfort und Platz, eine bessere Akustik und beherbergt zusätzlich eine Studiobühne, auf der Kinder- und Jugendtheater auf Platt gespielt werden soll. Doch der studierte Germanist weiß, dass der eine oder andere Zuschauer den Wechsel "sicherlich nicht mitmachen" wird. "Wir nehmen Herz und Seele des Hauses mit." Auch bleibe Ohnsorg ein gemütliches und warmherziges Volkstheater im Herzen der Stadt. Und so ist sich der Optimist sicher: "Wir kriegen das hin."

Am Sonntag, 28. August, geht das neue Ohnsorg-Theater mit Shakespeares "Sommernachtstraum" in die erste Spielzeit in St. Georg und residiert dann künftig am Heidi-Kabel-Platz - eine Verbeugung vor der bekanntesten Mimin des Hauses.

Die letzte Vorstellung im Haus an den Großen Bleichen beginnt am Freitag um 20 Uhr.

Am Sonnabend verkauft das Theater auf einem großen Flohmarkt Erinnerungsstücke (11 bis 15 Uhr). Um 13 Uhr ist zudem eine Versteigerung geplant