Die Schule ist keine Diktatur mehr, jedenfalls nicht für das Schreibschriftschreiben. Ein in Handschrift eingereichtes Manuskript

Als ich zum ersten Mal in meinem Leben, ich kam aus Berlin, den Weißwurst-Äquator nach Süddeutschland überquerte, staunte mein schwäbischer Großonkel, er war Gerbermeister, nicht schlecht: "Du sprichst ja nach der Schrift, Bub!", sagte er. Das ist ein Weilchen her, der Großonkel wäre inzwischen 147 Jahre alt.

Nach der Schrift, gemeint war die Bibel, die Luther-Bibel, die Heilige Schrift, die von der Kanzel so gelesen wurde, wie sie auch geschrieben worden war. 1 x "Briefe an die Korinther" etwa. Die Luther-Bibel war natürlich in Wahrheit längst gedruckt, weswegen meine Mutter, wenn ich wegen Bauchschmerzen die Schule schwänzen wollte, sagte: "Du lügst wie gedruckt." Journalist wurde ich erst viel später, aber Papier war damals schon geduldig.

Ich musste in der Schule Schönschrift lernen. Man sollte "wie gestochen" schreiben, in Kupferstich sozusagen. Zuerst Sütterlin; noch auf der Schiefertafel, mit Griffel und drangehängtem Schwamm. Fehler wurden angekreidet. Wie beim Gastwirt stand man in der Kreide. Noch heute löscht man Texte auch im Internet, auch beim Simsen. Aber es kommt von Schwamm. Vom Löschen wie beim Feuer oder beim Durst. Schwamm drüber!

Schönschreiben war ein benotetes Lernfach wie Rechtschreiben. Beides ging nur mit der rechten Hand, nur so ging's mit rechten Dingen zu. Linkshänder waren demnach beim Schreiben so verpönt wie Bettnässer. Erst später beim Steine- und Ballwerfen habe ich gelernt, dass ich "eigentlich" ein Linkshänder war. Denn Steine warf ich, wenn überhaupt, also nie, instinktiv. Mit links sozusagen.

Komisch, ein ungedruckter Text (wie dieser hier, während ich ihn mit der Hand schreibe) heißt immer noch Manuskript. Also Handgeschriebenes. Noch in meinen Jahren beim "Spiegel" reiste stets zu "Spiegel"-Gesprächen ein Stenograf (ein sogenannter Kurzschreiber) mit. Es galt das geschriebene Wort.

Schönschrift war lebenswichtig. Die Schrift war das Kellerloch der Seele. Ihre Dunkelkammer. Bewerbungen hatten "handgeschrieben" zu sein. Grafologen machten sich heimlich darüber her. Schüttelten den Kopf über ausufernde Unterlängen. Unterlängen, pfui Teufel.

Alles vorbei, jetzt. Schreibschriftschreiben ist keine Schulpflicht mehr. Na gut. Wie singt der Zigeunerbaron so schön: "Ja, das Schreiben und das Lesen, ist nie mein Fach gewesen. Denn schon von Kindesbeinen befasst ich mich mit Schweinen". Der hatte wahrscheinlich echt eine Sauklaue, bevor er E-Mails schrieb und SMS simste.