Mit ihrem Atom-Votum beweisen die Grünen Führungspotenzial

Für die Zukunft der Atomenergie in Deutschland war es nur eine Marginalie, für die Grünen dagegen enthielt die Frage, wie sie sich Ausstiegsbeschluss der schwarzgelben Mehrheit im Bundestag verhalten wollen, kaum zu überschätzenden Symbolcharakter. Erstmals seit ihrem Höhenflug in Umfragen galt es, die Gretchenfrage aller Parteien zu klären, die als Protestbewegung beginnen und sich dann Volksparteigröße nähern: Welches "P" hat den Vorrang, Prinzipientreue oder Pragmatismus? In diesem Fall: das Beharren auf einem schnelleren Ausstiegsdatum, das "Nein"-Votum also, oder das "Ja" zum Vorschlag des politischen Gegners, der zwar nicht die kühnsten Träume der Atomgegner erfüllt, aber weiter geht als der rot-grüne Ausstiegsbeschluss anno 2000?

Dass die Basis am Sonnabend dem "Ja" der Parteiführung mit großer Mehrheit folgte, ist ein starkes Signal des Erwachsenwerdens. Mit dem Votum haben die Grünen nach innen wie außen gezeigt, dass sie Argumente über Lagerdenken stellen, Machbares über Maximalforderungen, Plausibilität über Parteipolitik. Kurzum, sie haben die beharrlichsten Klischees, die im Wahlvolk über sie kursieren, eindrucksvoll widerlegt. Wer bisher nicht wahrhaben wollte, dass sich hier eine neue, pragmatische Kraft mit Führungspotenzial formiert, der sollte spätestens jetzt aufwachen. So grün wie heute war die Mitte noch nie.