Die Pläne, Grenzkontrollen wieder einzuführen, ist die Verzweiflungstat einer unter Druck stehenden Regierung, meint die Politikerin mit familiären Wurzeln im Nachbarland

Im Windschatten der griechischen Tragödie gehen in diesen Tagen auch in meiner dänischen Zweitheimat die Wogen hoch im Streit um die Renationalisierung europäischer Politik: Es geht um die Wiedereinführung dänischer Grenzkontrollen, mit denen sich heute das dänische Parlament befassen wird. Dabei hängt die Mehrheit der Mitte-rechts-Minderheitsregierung am dünnen Faden von einem Mandat. Aber selbst wenn die Regierung die notwendigen 90 Stimmen zusammenbringen sollte, hat sich die von der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei (DF) tolerierte Koalition mit ihren Plänen offenbar verzockt.

Eine neue Umfrage zeigt: Was als genialer machtpolitischer Schachzug gedacht war, gerät zum Rohrkrepierer. Seit März hat die rot-rot-grüne Opposition ihre Führung gegenüber der Regierung deutlich ausgebaut. Spätestens im November muss gewählt werden. Die Pläne zur Wiedereinführung von Zollhäuschen und Grenzkontrollen sind mehr als ein Zugeständnis an die Rechtspopulisten für deren Zustimmung zur Pensionsreform. Es ist auch die Verzweifelungstat einer unter Druck stehenden Regierung. Jahre hat das Rezept, Mehrheiten durch immer neue xenophobische Kampagnen zu verhindern, bestens funktioniert.

Die Angst, als kleines Land von außen überrollt zu werden, ist im kollektiven dänischen Bewusstsein tief verwurzelt und durch die historische Erfahrung von Krieg und deutscher Besatzung gut begründet. Ein ausgeprägtes Nationalgefühl findet man selbst bei der dänischen Linken, auch wenn diese das weltoffene, liberale und humanitär engagierte Dänemark, auf das sie einst so stolz war, kaum noch wieder erkennt.

Während die weit verbreitete EU-Skepsis der 90er durch positive Erfahrungen mit der EU-Mitgliedschaft eher rückläufig ist, hat es die rechts-konservative Regierung bestens verstanden, die Angst vor noch fremderen Fremden zu instrumentalisieren und machtpolitisch zu nutzen. Dabei hat sich die größte Regierungspartei, die rechtsliberale Venstre, nur zu gerne von der rechtspopulistischen Volkspartei treiben lassen. Trotz Vollbeschäftigung, exzellenter Wirtschaftsdaten und eines mäßigen Ausländeranteils von zehn Prozent hat eine weitverbreitete Fremdenangst vor allem dort um sich gegriffen, wo es am wenigsten Fremde gibt: in den vielen kleinen Orten auf Jütland.

Inzwischen wachsen aber in der dänischen Wirtschaft Zweifel, ob man noch auf dem richtigen Kurs ist. Drohender Fachkräftemangel macht sich auch in Dänemark bemerkbar. In Umfragen erklärten gut qualifizierte ausländische Fachkräfte, sie fühlten sich in Dänemark zunehmend unerwünscht.

Statt mit kriminellen Ausländerbanden muss sich die Regierung infolge ihres Grenzkontrollen-Plans nun mit der EU-Kommission und den konservativen Regierungen in Deutschland und Schweden auseinandersetzen.

Während die dänische Außenministerin Lene Espersen in Europa auf Beschwichtigungstour ging, attackierte DF-Führerin Pia Kjaersgaard unverdrossen den Nachbarn: Jeder deutsche Minister und deutsche Botschafter, der kriechen oder gehen könne, sei als "Schlägertrupp" unterwegs, um Dänemark anzugreifen. Ein anderer DF-Abgeordneter assistierte: Deutschland sei aufgrund seiner unbewältigten Nazi-Vergangenheit eine neurotische Nation.

Dänemark gibt Milliarden für Infrastruktur-Großprojekte aus, die nur einen Zweck haben: eine schnellere und bequemere Verbindung zu den europäischen Nachbarländern; nächste Woche will der dänische Verkehrsminister in Berlin für den Fehmarnbelt-Tunnel werben. Gleichzeitig die Angst davor zu schüren, wer da dann alles wohl noch schneller nach Dänemark kommen könnte, wirkt ziemlich absurd.

Als Tochter einer dänischen Mutter und eines deutschen Vaters finde ich die derzeitige Auseinandersetzung nicht nur ärgerlich, sondern auch schmerzlich. Für meine Neffen ist es selbstverständlich, dass ein Besuch bei der dänischen Familie genau so leicht und locker geht, als führe man zur Tante nach Hamburg. Ich selbst bin noch mit den Erzählungen meiner Eltern und Verwandten aus der Besatzungszeit groß geworden und kann mich erinnern, dass noch in den 60ern manchem deutschen Auto ein "tyske svin" ("deutsches Schwein") hinterhergerufen wurde. Endlose Wartezeiten an der Grenze und oft kleinliche und von Vorurteilen geprägte Kontrollen gehörten zu jeder Dänemarktour. Durch machtpolitische Symbolpolitik droht eine Welt zu zerbröseln, an deren Vorteile wir uns schon so gewöhnt haben, dass wir ihre Gefährdung leichtfertig hinnehmen.