Architekt Friedrich von Borries, 36, ist seit 2009 Professor für Designtheorie an der Hochschule für bildende Künste Hamburg

Hamburger Abendblatt:

1. Auf St. Pauli an der Reeperbahn sollen das Esso-Quartier mit 100 Wohnungen, der Kult-Tankstelle, dem Musik-Klub Molotow, einem Sexfilm-Shop und einer heruntergekommenen 60er-Jahre-Architektur abgerissen werden. Nun starten Künstler bunte Aktionen, um dagegen zu kämpfen. Welche Chance haben sie?

Friedrich von Borries:

Die Proteste der letzten Zeit haben doch verdeutlicht, dass man viel erreichen kann. Man muss halt klarmachen, warum Heterogenität wertvoll ist, warum das Raue, Kaputte, Schräge auch einen Wert hat, von dem die ganze Stadt profitiert. Und die Protestler müssen neue Perspektiven aufzeigen, Gegenmodelle entwickeln. Nur das Festhalten an romantischen Erinnerungen hilft nichts. Insbesondere wenn es um Tankstellen geht, denn Orte zum Benzintanken brauchen wir in Zukunft hoffentlich immer weniger.

2. Was macht Ihrer Erfahrung nach den besonderen Reiz dieses Ortes aus?

Borries:

Meine Erfahrungen sind da eher gering, ich bin ja nicht in Hamburg aufgewachsen. Aber die Tankstelle war ja immer mehr als eine Tankstelle, sie war ein Treffpunkt, ein Ort des sozialen Austauschs. Das muss man in die Zukunft übersetzen.

3. Welchen Wert hat die Kultur auf St. Pauli?

Borries:

Kultur ist ja vieles. Und das ist das Schöne an St. Pauli, dass es einen Gegenpol bildet zu dem doch ansonsten recht geschniegelten, hanseatischen Hamburg. Hamburg ist halt mehr als der Traum nach einer Elbphilharmonie.

4. Die Investoren des Esso-Quartiers suchen den Dialog mit den Anwohnern und Protestlern. Wie macht man so etwas sinnvoll?

Borries:

Das macht nur Sinn, wenn man tatsächlich etwas Neues entwickeln will. Dazu muss man die Anwohner und Protestler ernst nehmen. Sehr ernst - sich also von den alten Plänen verabschieden. Wenn man Dialog nur als Befriedungsstrategie und Marketingkampagne sieht, sollte man es besser bleiben lassen.

5. An der Reeperbahn gibt es heute die (nördliche) Rotlichtseite und die gegenüber liegende Theaterseite. Wie wird St. Pauli in 20 Jahren aussehen?

Borries:

Das wissen wir noch nicht, das wär ja auch langweilig. Vielleicht ein Museum für alternative Lebenskultur. Wahrscheinlich aber eher ein glattes, schickes Wohngebiet. Aber dafür gibt es dann ein Rotlichtviertel in der HafenCity, wo lauter Künstler ihre Ateliers in leer stehenden Bürogebäuden haben. Ist doch auch nicht so schlecht, oder?