Die Verunsicherung sitzt bei vielen noch tief. Beim EHEC-Forum des Abendblatts beantworten Gesundheitsexperten die Fragen der Leser.

Hamburg. Die Verunsicherung sitzt immer noch tief bei Carmen Biernoth. Salat, Gurken und rohe Tomaten - "darauf verzichten mein Mann und ich weiterhin", sagte die 59-Jährige aus Wedel. "Wenn man diese Krankheit betrachtet", sagte sie mit Blick auf EHEC und die schweren Verläufe bei vielen Patienten, "dann kann man schon Angst bekommen." Deshalb sei sie nach wie vor "sehr zurückhaltend" beim Verzehr von Gemüse und Obst. Der Entwarnung durch die Behörden vertraue sie nicht. Mit ihrer Sorge ist sie nicht allein, auch viele andere Leser treibt die EHEC-Krise noch um, wie sich beim Experten-Gipfel des Abendblatts in der Axel-Springer-Passage zeigte.

Die Fragen der Abendblatt-Leser und die Antworten der Experten:

Was dürfen wir bedenkenlos essen? Wo gibt es noch Einschränkungen?

"Auf Sprossen sollte man verzichten, bis das Risiko geklärt ist", sagte Ernährungswissenschaftlerin Karin Riemann von der Hamburger Verbraucherzentrale. Ansonsten gebe es keine Einschränkungen.

Können sich EHEC-Keime auf Gemüse nur außen oder auch innen ansiedeln?

Das ist bisher nicht eindeutig geklärt; unklar ist auch, ob es diesbezüglich Unterschiede zwischen Gemüsesorten gibt, ob sich also das Bakterium auf Salat anders verhält als auf Tomaten. Dem gehen Forscher jetzt nach. "Früher galt: Das Bakterium sitzt außen auf der Schale, und durch gründliches Waschen kann man es entfernen", sagte Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD). "Das galt für diese Krise nicht mehr. Der Erreger ist sehr aggressiv, und es gab Hinweise, dass er auch in Gemüse hineingelangt ist. Wir konnten nicht garantieren, dass es ausreicht, Gemüse zu waschen. Deshalb haben wir vorsorglich dazu geraten, auf Salat, Gurken und rohe Tomaten zu verzichten."

Warum sind vor allem Frauen an EHEC erkrankt?

Bislang nahm man an, dass dies auf die gesündere Ernährung vieler Frauen mit Rohkost zurückzuführen ist. Womöglich spielt aber noch ein weiterer Aspekt eine Rolle: "Das Immunsystem ist bei Frauen anders aufgebaut als bei Männern", sagte Mikrobiologe Dr. Thomas Fenner. Die weibliche Abwehr sei in einigen Punkten schlagkräftiger, in anderen Punkten reagiere das Immunsystem sensibler. "Frauen haben etwa ein höheres Risiko für Autoimmunerkrankungen", sagte Fenner. Ob das Immunsystem von Frauen auf EHEC-Bakterien weniger effektiv reagiere als das von Männern, müsse aber erst erforscht werden. "Es ist noch viel zu früh, um dazu eindeutige Aussagen zu machen."

Können genesene Patienten den Keim noch übertragen - und wie lange?

Das ist unklar. Eine erneute Erkrankung ist aber sehr unwahrscheinlich, weil das Immunsystem davor schützt. Es ist aber nach dem derzeitigen Stand der Forschung nicht auszuschließen, dass der Keim auch nach einer Genesung für eine bestimmte Zeit im Darm überlebt. Um das zu klären, plant das UKE eine intensive Nachsorge bei all seinen entlassenen EHEC- und HUS-Patienten. Sie sollen nach der Entlassung regelmäßig Stuhlproben abgeben, die dann im UKE untersucht werden. Die Teilnahme ist freiwillig. Wer bereits einmal an EHEC erkrankt ist, könnte in Zukunft zwar grundsätzlich erneut durch die Keime krank werden, dies gilt aber als sehr unwahrscheinlich. Bei Patienten, die in den vergangenen Jahren an anderen EHEC-Erregern erkrankt waren, konnten Forscher nur sehr selten eine Übertragung von Mensch zu Mensch feststellen.

Werden die für EHEC zuständigen Behörden nach der Infektionswelle noch einmal zusammenkommen, um Erfahrungen auszutauschen?

Es ist zu erwarten, dass die zuständigen Behörden, insbesondere das Robert-Koch-Institut und das Bundesinstitut für Risikoforschung, den Umgang mit der EHEC-Epidemie aufarbeiten und später auch eine Bilanz ziehen.

Wie die Aufarbeitung und die Zusammenarbeit der Behörden von Bund und Ländern im Einzelnen aussehen wird, ist aber unklar; die Teilnehmer der Podiumsdiskussion konnten dazu nichts sagen. Fest steht, dass sich bundesweit Krankenhäuser stärker vernetzen werden. So ist ein Register eingerichtet worden, in dem für jeden Patienten festgehalten wird, ob der Austausch des Blutplasmas (Plasmapherese), die wichtigste Behandlungsmethode bei HUS, und der Einsatz des neuen Antikörpers Eculizumab eine Verbesserung bringen. An der Datenbank beteiligen sich bereits 15 Krankenhäuser, darunter die Universitätskliniken in Hamburg, Hannover und Kiel.

Trägt die Tiermast Mitverantwortung an der Infektionswelle?

Karin Riemann von der Verbraucherzentrale: "Man kann sicher sagen, dass ein starker Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung die Entstehung von Keimen fördert, die gegen Antibiotika resistent sind." Die Ursache besonders aggressiver Keime ausschließlich in der Tiermast zu suchen greift nach Ansicht von Mikrobiologe Thomas Fenner aber zu kurz. "Wir müssen bei uns selbst anfangen und eigene Gewohnheiten hinterfragen. Viele Menschen, die krank sind, laufen zum Arzt und wollen Antibiotika verschrieben bekommen, obwohl eine solche Behandlung teilweise gar nicht nötig ist. Die übermäßige Einnahme dieser Medikamente kann ebenfalls Resistenzen begünstigen." Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) plädierte für einen neuen Umgang mit Lebensmitteln. "Die Frage ist, ob wir jeden Tag Fleisch auf dem Teller haben müssen." Der Ernährungspsychologe Joachim Westenhöfer von der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften pflichtete ihm bei: "Wir müssen Lebensmittel mehr schätzen und auch mehr Geld für sie ausgeben. Das könnte sich positiv auf die Produktion auswirken."

Können Epidemien wie die aktuelle immer wieder auf uns zukommen?

Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks: "Wir können nicht ausschließen, dass Epidemien wie diese trotz engmaschiger Lebensmittelkontrollen erneut passieren. Auch eine hohe Anzahl von Überprüfungen gibt keine Garantien. Im aktuellen EHEC-Fall haben wir Tausende Proben genommen - und rein gar nichts gefunden." Mikrobiologe Thomas Fenner stützte diese Einschätzung: "Wir werden immer mit Bakterien konfrontiert sein. Gesundheitsbehörden und Kliniken müssen auch in Zukunft äußerst wachsam sein, um Gefahren früh zu erkennen."