Eine katholische Gemeinde in Winterhude mit einer außergewöhnlichen Geschichte

Alsterdorf. Als die Gärtner Ernst Müller und Heinrich Koppe 1906 ihre 3136 Quadratmeter am Lattenkamp für 73 000 Reichsmark verkaufen, muss der neue Besitzer strenge Amtsauflagen akzeptieren: Er darf weder Fabriken noch Ställe bauen, frei laufendes Federvieh ist nicht gestattet. Doch Marie Joseph Edgar Nölting, Kaufmann, Päpstlicher Kammerherr und Generalkonsul von Haiti, möchte das auch gar nicht. Er vertritt die katholische Kirche, die im Norden Hamburgs einen neuen Pfarrbezirk mit Gotteshaus und Grundschule errichten will. Am 27. August 1911 wird die Kirche geweiht - an diesem Pfingstsonntag feiert St. Antonius 100-jähriges Bestehen.

Es ist das ungewöhnliche Fest einer ungewöhnlichen Gemeinde:

Das Kirchengebäude steht ursprünglich in Eimsbüttel. Für die Gemeinde St. Bonifatius zu klein geworden, wird es Stein für Stein abgetragen und 4,6 Kilometer weit nach Winterhude transportiert. Die 116 000 Reichsmark für das Schulgebäude sichert ein Testament. Fräulein Beatrice Tecla Vernet vermacht der Kirche 1910 mit ihrem Vermögen auch ihren Schmuck, die Edelsteine dekorieren bis heute die Monstranz. Die neue Gemeinde gehört nicht zu einem Bistum, sondern zu den "Nordischen Missionen", ganz so, als herrsche ringsum noch das Heidentum. In 100 Jahren zählt Rom neun Päpste - St. Antonius aber nur fünf Pastoren.

Der zweite, Johannes von Rudloff, schleppt 1943 eigenhändig eine Brandbombe aus der Kirche. Später wird er als Weihbischof Hamburgs erster katholischer Bischof seit der Reformation. Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) unterstützt er die kritische Öffnung der Kirche auf die Welt hin. Ein wichtiges Ergebnis ist 1973 die Gründung der Katholischen Akademie am Kleinen Michel. In dieser Tradition begründet der fünfte Gemeindepfarrer, Johannes Pricker, 2002 die Reihe "Medien in St. Antonius": Hamburger Medienschaffende wie Maria von Welser, Marc Bator, Reinhold Beckmann, Gerhard Delling oder Jan Hofer tragen in der Kirche persönliche Gedanken aus dem Spannungsfeld zwischen Kirche, Presse und Rundfunk und seit 2009 auch zu den Zehn Geboten vor.

Anders als anderswo ist die Kirche mit ihren 500 Sitzplätzen beim Gottesdienst stets gut gefüllt. Pastor Prickers Predigten sind populär, weil sie die Lebenswirklichkeit ihrer Zuhörer kennen: "Charakteristik einer Ehe: Im ersten Jahr hörte sie auf ihn, im zweiten Jahr hörte er auf sie, im dritten Jahr hörten sie die Nachbarn." Mal stellt Pricker ein großes Glasgefäß voller Videos, Pillen, Geldscheine und Münzen auf den Altar und klopft gegen das Glas: "Klingt stumpf." Er leert es aus: "Jetzt klingt es hell und klar. So ist auch unser Inneres." Über den Zustand seiner Institution macht er sich keine Illusionen: "Die Kirche arbeitet mit fortlaufendem Erfolg: Ihr laufen die Leute fort." Denn: "Erst wenn die Kirche sich der letzten gesellschaftlichen Randgruppe angenähert hat, wird sie erkennen, dass sie selbst eine Randgruppe geworden ist."

Zu den rund 7000 Gemeindemitgliedern in den Stadtteilen Alsterdorf, Eppendorf, Groß Borstel und Winterhude zählen besonders viele junge Familien. Der Kindergarten führt Wartelisten, die Schule ist auch für Mädchen und Jungen aus anderen Stadtteilen attraktiv. "Zuzug und Wohnraumverdichtung dauern an", weiß Pricker, "unsere Gemeinde wird weiterwachsen."

Josef Nyary ist Publizist, Autor und Mitglied des Kirchenvorstands von St. Antonius