Ein winziger Augenblick nur, eine heftige Bewegung. Sie hat sein Leben aus dem Lot gebracht. Der Mitarbeiter der Hamburger Hochbahn hatte einfach nur seine Arbeit gemacht und einen Fahrgast kontrolliert, der mit einem wuchtigen Faustschlag seinen Kiefer zerschmetterte, sodass der 62-Jährige dreimal operiert werden musste, vier Wochen im Krankenhaus lag und vier Monate lang nur flüssige Nahrung zu sich nehmen konnte. Dazu die Schlafstörungen, die ihn immer noch plagen. Die Schmerzmittel, die er nach wie vor nehmen muss. Zurück in den Job? Undenkbar, leider, bis heute.

Der Mann, der dem Hochbahnmitarbeiter dieses Leid zugefügt hat, hat dafür seine Strafe bekommen. Ein Jahr und fünf Monate Haft, und das ohne Bewährung, hat das Amtsgericht gegen Jürgen J. wegen der Tat vom 10. November 2010 verhängt. Ein Urteil, das der 26-Jährige jetzt in der Berufung anfechtet. Er hofft auf eine mildere Strafe, auf Bewährung. "Ich kann nur sagen, dass es mir leid tut", nuschelt der junge Mann im neuen Prozess vor dem Landgericht und räumt damit ein Geschehen ein, an das er "überhaupt keine Erinnerung" habe. Nicht daran, dass er an jenem Morgen in der U-Bahn eingeschlafen war. Dass er von Kontrolleuren geweckt wurde und seinen Fahrschein zeigen sollte. Dass er stumm blieb und ihrer Aufforderung nicht nachkam - und dann plötzlich wie aus dem Nichts seine Faust gegen das Kinn des 62-Jährigen schmetterte.

"Ich hatte Drogen genommen, Kokain, dazu wenig Schlaf", sagt der zierliche Hamburger in der schwarzen Lederjacke. Er hatte nichts Eiligeres zu tun, als sich zuzudröhnen, seit er kurz zuvor aus der Haft entlassen worden war. Ganze vier Tage war Jürgen J. in Freiheit, als er dem Hochbahn-Mitarbeiter den Kiefer zertrümmerte.

Es ist eine erstaunliche kriminelle Karriere. Kaum heraus aus dem Knast, wo er als 16-Jähriger zum ersten Mal unter anderem wegen schweren Raubes gelandet war, hatte er nach erschreckend kurzer Zeit neue Straftaten begangen. Insgesamt neun Gefängnisstrafen ohne Bewährung weist sein Vorstrafenregister auf.

Er sei schon früh "auf die schiefe Bahn gekommen", seufzt Jürgen J. jetzt vor Gericht. "Ich fand es wohl besser, mit Freunden herumzugammeln und Joints zu rauchen, als mich um wirklich wichtige Dinge zu kümmern wie Ausbildung und Arbeit." Irgendwann habe er begonnen, auch harte Drogen zu konsumieren, habe inzwischen zwei Entzugstherapien hinter sich, mit mäßigem Erfolg. Nur einmal habe er für kurze Zeit gejobbt, in einem Kindergarten. "Da habe ich dann aber wieder aufgehört, es wurde mir zu viel. Ich hatte Angst, dass ich wieder rückfällig werde."

An Drogen zu geraten sei im Kindergarten doch "wohl kaum wahrscheinlich", wendet der Vorsitzende Richter trocken ein. "Doch, wenn ich zu viel Stress habe, konsumiere ich wieder", sagt der Angeklagte. Deshalb hoffe er jetzt auch auf eine Bewährungsstrafe, um eine erneute Therapie machen zu können. Ein Grund, dass er es diesmal packen wolle, sei, "dass mich die Tat schon geschockt hat. Ich will nicht einfach so einen alten Mann schlagen."

Für eine niedrigere Strafe, wendet der Vorsitzende Richter ein, sehe er jedoch kaum eine Chance. "Wenn ich überlege, was für eine kriminelle Karriere Sie hingelegt haben und wie gravierend die Folgen der Tat sind, scheint mir die Strafe nicht zu hoch zu liegen." Aus seiner Sicht bleibe nur die Möglichkeit zu beantragen, dass die Haftstrafe vorerst nicht vollstreckt wird. Und, sollte dies gewährt werden, die Therapie zu machen und dann später die Gefängnisstrafe abzusitzen.

Jürgen J. sieht das ein. Mit gequältem Blick nimmt er die Berufung zurück, das Urteil des Amtsgerichts wird rechtskräftig. "Jetzt sind Sie dran", fordert der Richter den 26-Jährigen auf, "das wissen Sie. Viel Glück!"