Die Kanzlerin sollte auf weitere Kurswechsel verzichten und sich auf den eigenen Vorsatz besinnen, so zu regieren, dass die Menschen ihre Politik nachvollziehen können

Wenn sich die Ministerpräsidenten Kretschmann (Grüne) und Seehofer (CSU) in den Armen liegen und ihren gemeinsamen Beitrag zum Atomausstieg feiern, wer hat dann gewonnen? Angela Merkel! Die Bundeskanzlerin hat ihre politische Kehrtwende in der Energiepolitik so großzügig inszeniert, dass auch Gegner und Widersacher darin ihre Rolle gefunden haben und mitspielen. Nach dem Treffen Merkels mit den Länder-Regierungschefs, bei dem ja alle Parteien vertreten waren, scheint ein großer Konsens möglich - und damit eine Abschaltung des Themas Atom für kommende Wahlkämpfe.

Merkel könnte sich zurücklehnen, stolz auf ihre Regierungskunst. Sie hat mal wieder vorgeführt, dass Programme und alte Beschlüsse nichts ausrichten gegen ihr Geschick und ihren Pragmatismus. Wäre da nicht die ständige Kritik aus ihrer Partei, der CDU, die genau diesen Pragmatismus attackiert. Die Union "verliert, was ihren Kernwählern am allerwichtigsten ist, nämlich die Grundsatztreue", heißt es dazu in einem aktuellen Thesenpapier aus dem hessischen Landesverband.

Wer sind eigentlich die "Kernwähler" der CDU, von denen auch in der leidigen "Konservativismus-Debatte des vergangenen Jahres ständig die Rede war? Sollen es etwa jene "Traditionalisten" sein, zu denen sich nach einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung rund ein Viertel der Parteimitglieder zählt, die meist immer noch gegen die Homo-Ehe und gegen die Berufstätigkeit von Müttern sind?

Mit dieser Wählergruppe allein lassen sich keine Mehrheiten gewinnen. Die CDU braucht auch "Kernwähler" in ganz anderen Bevölkerungsschichten mit ganz anderen Lebenseinstellungen. Etwa berufstätige Frauen, die von der modernen Familienpolitik angetan sind. Um Wahlergebnisse über 30 Prozent, womöglich wieder 40 Prozent, zu erreichen, muss die CDU ganz verschiedene Menschen ansprechen, die immer weniger miteinander zu tun haben. Das ist das Pech der Partei, aber natürlich vor allem ihr Glück. Denn sie ist die einzige, die den Begriff "Volkspartei" noch halbwegs für sich in Anspruch nehmen darf, nachdem der SPD durch Lafontaines Wechsel zur Linken ein kompletter Parteiflügel abgeschlagen wurde.

Der Weg, verschiedene Wählerschichten für eine Partei zu gewinnen, ist nicht ein Programm, in dem für alle alles drinsteht. Sondern es ist eine überzeugende Regierungspolitik, die mit den aktuellen Krisen und Problemen klarkommt. Parteiprogramme hinken hinter diesen Problemen - vom Euro bis Afghanistan - ohnehin hinterher. Nicht von ungefähr haben die profilierten, teilweise sogar populären Politiker der CDU keine Posten in Partei oder Fraktion, sondern in der Bundesregierung: de Maizière, von der Leyen, Röttgen, Schäuble ...

Die CDU war immer Kanzler-Partei. Mit Adenauer, mit Kohl, jetzt mit Merkel. Sie hat die letzte Bundestagswahl überhaupt nur gewonnen, weil sie ganz auf die Kanzlerin setzte und Sachthemen ausklammerte. Leider regierten Merkel und die schwarz-gelbe Koalition in ihrer Startphase unfassbar schlecht, der Zorn darüber brach sich in CDU-internen Richtungsdebatten Bahn. Die wiederum führten zur schwarz-gelben Atom-Katastrophe, deren Ablauf Hamburgs Ex-Bürgermeister Ole von Beust kürzlich in der "Zeit" beschrieb. Danach war die Laufzeitverlängerung eine "Reaktion auf die Diskussion in der CDU: Was ist konservativ? Man dachte, man muss sich wirtschaftsfreundlich zeigen. Die Quittung ist, dass man in Baden-Württemberg die Wahl vergeigt hat." Wie wenig inhaltlich vage Kritik, gestützt auf Begriffe wie "konservativ" oder "Grundsatztreue", die CDU weiterbringt, zeigt die Debatte nach der verlorenen Bremen-Wahl vor zweieinhalb Wochen. Da wurde plötzlich, wie zum Hohn, bemängelt, der Partei fehle es an großstädtischem Lebensgefühl.

Zugegeben, Angela Merkel hat eingefleischten CDU-Anhängern schon viel zugemutet an Richtungs- und Meinungswechseln, an Wenden und Kehrtwenden. Sie war in der Großen Koalition eine gute sozialdemokratische Kanzlerin, sie macht gerade schwarz-grüne Energiepolitik. Nur mit Schwarz-Gelb hapert es immer noch. Doch die Chancen der Union bei der Bundestagswahl 2013 hängen an dieser Regierung, und sie hängen an Merkel. In der zweiten Hälfte der Legislaturperiode sollte sie allerdings auf weitere Kurswechsel verzichten und sich auf einen Vorsatz besinnen, den sie in den Sommerinterviews des Jahres 2010 formuliert hat: nämlich so zu regieren, "dass die Menschen nachvollziehen können, welchen Punkt wir erreichen wollen".