Heute vor 25 Jahren umzingelten Polizisten 838 Atomkraftgegner auf dem Heiligengeistfeld. Bei diesem Einsatz gingen sie deutlich zu weit.

Hamburg. Für die Hamburger Polizei war es eine Art GAU. Ein folgenschweres Geschehen, das sich, einmal in Gang gesetzt, verselbständigte. Am 8. Juni 1986, einem Sonntag, umzingelten vier uniformierte Hundertschaften 838 Demonstrierende, Atomkraftgegner zumeist, und hielten sie bis zu 16 Stunden lang auf dem Heiligengeistfeld fest. Als "Hamburger Kessel" erlangte die Polizeiaktion, die später für rechtswidrig erklärt wurde und sich heute zum 25. Mal jährt, bundesweit traurige Berühmtheit.

Der Protest richtete sich gegen einen Polizeieinsatz am AKW Brokdorf

Ziemlich überraschend für die Hamburger Behörden waren an jenem warmen Tag plötzlich Hunderte Atomkraftgegner auf dem Heiligengeistfeld aufgetaucht. Eine Demo hatten sie nicht angemeldet. Wie auch: Mit dem Aufzug hatten sie ihrem Protest gegen einen Polizeieinsatz am Vortag Luft machen wollen, als mehrere Tausend Kernkraftgegner auf dem Weg zum AKW Brokdorf unsanft von der Polizei aufgehalten worden waren. Der Meiler stand in jenem Sommer kurz vor der Fertigstellung. Und in Tschernobyl war der Reaktor ein paar Wochen zuvor explodiert. Die Angst vor Verstrahlung und dem neuen, nahen Reaktor war nie zuvor so groß, die Bewegung nie so stark. Ein Umstand, der wiederum innerhalb der Behörden Nervosität hervorrief.

+++"Die Polizei hat viel gelernt"+++

Der damalige Hamburger Innensenator Rolf Lange (SPD) befürchtete, entsprechend informiert von der Polizeiführung, einen "Sturmlauf" durch die Innenstadt. Nach kurzer Rücksprache ließen die Verantwortlichen, die Leitenden Polizeidirektoren Heinz Krappen, Klaus Rürup und Alfred Honka sowie der Bereitschaftspolizei-Chef Lothar Arthecker, den "Mob", als den sie die Menschenmenge betrachteten, umzingeln. Über ein weiteres Vorgehen hatte man sich angesichts der scheinbar drohenden Gefahr zu wenig Gedanken gemacht. Für Demonstrierende, wie auch für die eingesetzten Beamten, begann ein zermürbendes Geduldspiel. Die Uniformierten bildeten einen mal eher rechteckigen, mal runderen Riegel, den die Protestierer, in den Medien meist "Chaoten" genannt, nicht verlassen durften. Erst in der Nacht, als sich längst eine wütende Menschenmenge außerhalb des Kessels zusammengefunden hatte, verteilten Mannschaftswagen die Eingeschlossenen auf Hamburger Wachen, damit die Personalien festgestellt würden.

+++"Ich erinnere an die Solidarität"+++

Der Kessel sorgte für Zwist in der - damals von Bürgermeister Klaus von Dohnanyi geführten - SPD-Regierung. Die Senatoren Jan Ehlers und Jörg Kuhbier attackierten Innensenator Rolf Lange öffentlich. Dessen Staatsrat Peter Rabels musste den Hut nehmen.

Die vier Polizeichefs wurden nach 55 Verhandlungstagen der Freiheitsberaubung und Körperverletzung für schuldig befunden. Sie zahlten Bußgelder und erhielten die denkbar geringste juristische Sanktion: Verwarnungen mit Strafvorbehalt. Zwei wurden später gar befördert. Den Senator anzuklagen lehnte die Staatsanwaltschaft ab. Und die Eingeschlossenen? Sie bekamen mehr als fünf Jahre nach dem Kessel 200 Deutsche Mark Schmerzensgeld. "Damit Sie sich einen schönen Sonntag auf Staatskosten machen können", wie der zuständige Richter formulierte.