Kein Schmusekurs mit Atomkonzernen - Hamburg muss die Mehrheit an Strom-, Fernwärme- und Gasnetz erwerben

Vor Fukushima war Deutschland ein Paradies für Energiekonzerne: Mit längst abgeschriebenen Atommeilern, Kohleschloten und alten Leitungen verdienten sie Milliarden. Seit dem Atom-GAU in Japan hat sich der Wind gedreht: Eine große Mehrheit der Menschen will den schnellen Atomausstieg, die Energiewende - und eine stärkere Einmischung der Politik.

In Hamburg bestimmen Vattenfall und E.on die Energiepolitik und schöpfen riesige Gewinne ab. Jetzt haben wir die Chance, die Atomkonzerne vom Spielfeld zu schicken und die Energiepolitik wieder in die Hand der Stadt zu nehmen - demokratisch kontrolliert und dem Gemeinwohl verpflichtet. Dazu muss Hamburg die Netze für Strom, Gas und Fernwärme von E.on und Vattenfall mehrheitlich übernehmen.

Nur so bekommt die Stadt echten Einfluss und kann den Klimaschutz und die Energiewende konkret in Hamburg voranbringen. Eine repräsentative Psephos-Umfrage vom Februar 2011 hat ergeben, dass 65 Prozent der Bürger an der Elbe einen Rückkauf der Netze wollen. Dieses Signal muss die Politik ernst nehmen.

Der Basta-Politiker Olaf Scholz hat sich festgelegt. Er will der Genosse der Atombosse sein und nur einen 25,1-Prozent-Anteil der Netze kaufen. Das wäre nichts als eine teure Beruhigungspille. Gutachten und Experten stützen die Einschätzung. Mit einem Viertel der Anteile säße die Stadt über Jahrzehnte am Katzentisch, die Partnerschaft mit dem Atomriesen wäre zementiert. Erst 2034 wären die Verträge über die Netze erneut kündbar.

Es ist unverständlich, warum der Senat auf Schmusekurs ist mit den Kohle- und Atomriesen. Und es ist gegen den Trend: Von den deutschen Großstädten überlässt nur noch Berlin den Konzernen das Feld.

Dresden hat seine Netze komplett zurückgekauft, in Stuttgart holen gerade alle Parteien gemeinsam die Netze zurück in Bürgerhand. Die meisten Kommunen haben ihre Netze nie privatisiert und fahren damit gut: In München zum Beispiel fließen jährlich Millionen in den Stadthaushalt. Das Geld der Hamburgerinnen und Hamburger fließt nach Schweden und an die E.on-Aktionäre.

Die SPD sagt, Hamburg könne sich einen Rückkauf der Netze nicht leisten. Das ist falsch: Hamburg Wasser als städtisches Unternehmen könnte die Finanzierung stemmen - ohne einen Cent aus Steuergeldern. Die Regulierungsbehörde garantiert den Netzbetreibern Renditen von sieben Prozent, daraus wären Zinsen und Tilgung zu bezahlen. Die Stadt würde wieder eigenes Vermögen aufbauen und könnte mit den Einnahmen eine eigene Energie- und Klimaschutzpolitik machen.

Bei der Fernwärme bekäme die Stadt nicht nur das Netz, sondern auch die zwei Kraftwerke Wedel und Tiefstack zurück. Wedel könnte man durch ein hocheffizientes Gaskraft-werk ersetzen und mittelfristig auch Wärme aus erneuerbaren Energien einspeisen.

Wir könnten so verhindern, dass der Klimakiller Kohle Hamburgs Haushalte heizt. Auch in Moorburg müsste dann weniger Kohle verfeuert werden, und die umstrittene Trasse durch Altona zum Kraftwerk Moorburg wäre überflüssig. Nur so kann Hamburg den Ausstoß von CO2 spürbar senken und seine Klimaschutzziele einhalten.

Der Verkauf der HEW an Vattenfall Ende der 1990er-Jahre war ein Fehler. Das bestreitet inzwischen fast niemand mehr. Anders als bei den Telefonpreisen ging es mit dem Strompreis stetig bergauf. Hamburg kann diesen Fehler heilen. Vattenfall wäre nicht amüsiert, wenn die Stadt die Netze übernimmt. Deshalb schaltet der schwedische Konzern gerade viele bunte Anzeigen in Zeitungen und Bahnen und gibt sich verlässlich. Als Betreiber des Pannen-AKW Krümmel aber hat der Konzern viel Vertrauen verspielt.

Für mich steht fest: Die Stadt muss den Konzernen die Netze wegnehmen und eine klare Mehrheit erwerben. Weil es lohnt: für den Klimaschutz, für die Verbraucher und für die Stadtkasse. Wenn die SPD das nicht will, heißt das noch lange nicht, dass dies nicht geht: Wir Bürgerinnen und Bürger können den Bürgermeister zum Kurswechsel zwingen. Beim Volksbegehren der Initiative "Unser Hamburg - Unser Netz" kann jeder Hamburger vom 2. bis zum 22. Juni den Rückkauf der Netze fordern. 63 000 Unterschriften braucht es, dann käme es zu einem Volksentscheid.

Die Chance, den Atomkonzernen die Rote Karte zu zeigen, bietet sich erst in 20 Jahren wieder. Hamburg muss sie nutzen. Jetzt.

Jens Kerstan, 45, ist energiepolitischer Sprecher und Vorsitzender der GAL-Bürgerschaftsfraktion