Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall.

Hamburg. Der Brandkrustenpilz ist angeblich der Bösewicht. Sozusagen die Wurzel allen Übels. Der Pilz aus der Familie der Holzkeulenartigen lebt gern an unterschiedlichen Bäumen in Bodennähe, mit Vorliebe an Buchen. Ein winziges Etwas, das in der Masse einen riesigen Baum glatt umhauen kann. Und damit soll er indirekt schuld daran sein, dass ein Mann Hand anlegte an eine stattliche Rotbuche. Einen riesigen Baum, 157 Jahre alt, ein Prachtstück. Thorsten B. gibt unumwunden zu, dass er die Buche gefällt hat. Doch er habe gewissermaßen in Notwehr gehandelt, sagt er. Der gigantische Baum, behauptet der 46-Jährige, sei vom Brandkrustenpilz befallen gewesen, morsch und damit in seiner Standfestigkeit gefährdet. Er habe gefürchtet, dass die hohe Buche eines Tages umstürzen und mit seinem gigantischen Gewicht in seinen Garten in Wohldorf-Ohlstedt fallen könnte, sagt Thorsten B. "Ich hatte Angst, hauptsächlich um meine drei Kinder."

Mit nahezu unbewegter Miene sitzt der Chef einer Räucherei jetzt im Prozess vor dem Amtsgericht, sein kleinkariertes Hemd in die Jeans gestopft, seine Stimme ruhig und gelassen. Dass er für die Fällung der Buche keine Berechtigung hatte, "war mir bewusst", sagt er über seine Aktion im Staatswald in Wohldorf-Ohlstedt. Wegen des Baumfrevels vom April 2009 ist er nun wegen Sachbeschädigung angeklagt. "Ich finde, ich habe schon eine Strafe verdient", ergänzt der groß gewachsene Mann. Doch den zweiten Vorwurf in dem Prozess, einer Körperverletzung, weist er energisch zurück. Nichts sei wahr daran, insistiert Thorsten B., dass er einen Revierförster, der ihn wegen der ungenehmigten Fällung zur Rede stellen wollte, an den Kehlkopf gegriffen und ihn geschlagen habe. "Das stimmt überhaupt nicht!"

Es ist ein aufwendiger Prozess, der vor dem Amtsgericht verhandelt wird. Sechs Zeugen sind wegen des Vorfalls geladen, dazu zwei Sachverständige, die sich mit dem Brandkrustenpilz im Allgemeinen und dem etwaigen Befall der Buche mit dem Pilz im Besonderen befasst haben. Dutzende Fotos sind in den Akten, die den Zustand besagten Baumes dokumentieren sollen, in SchwarzWeiß und in Farbe, über einen langen Zeitraum. Jahrelang habe er damals mit sich gehadert und gekämpft, sagt der Angeklagte. Er habe beobachtet, wie immer wieder Äste aus der mächtigen Buche, die in unmittelbarer Nähe seines Grundstücks steht, herausgebrochen seien, zuletzt ein großer Nebenstamm. "Der war völlig morsch und verfault", zudem sei er mit dem gefährlichen Pilz befallen gewesen.

Er liebe Bäume, aber seine Angst, seine Kinder könnten von der Buche erschlagen werden, habe überwogen. Natürlich hätte er den offiziellen Weg gehen und die Försterei benachrichtigen können, räumt Thorsten B. ein. Doch er habe befürchtet, dass die dann gleich Dutzende Bäume fällen würde. "Und dann wäre es mit der Idylle vorbei. Deshalb habe ich gedacht, dass es das kleinere Übel wäre, wenn ich diesen Baum fälle."

Doch vom angeblichen Pilzbefall könne keine Rede sein, widerspricht der Revierförster als Zeuge. Der Angeklagte habe schlicht zu Unrecht "einen Kahlschlag veranstaltet". Als er von dem Baumfrevel Fotos machen wollte, habe Thorsten B. ihn auch noch völlig grundlos angegriffen. "Er griff mir mit der linken Hand an den Hals und schlug mir mit der anderen ins Gesicht." Den Einwand des Verteidigers, dass der Angeklagte wegen eines medizinischen Handicaps den linken Arm nicht heben könne, kontert der Zeuge trocken: "Dann habe ich ihn eben geheilt."

Am Ende stellt die Amtsrichterin den Vorwurf der Körperverletzung ein. Wegen der Sachbeschädigung verurteilt sie Thorsten B. zu einer Verwarnung mit Strafvorbehalt. Das heißt, eine Geldstrafe von 1500 Euro muss der 46-Jährige nur dann zahlen, wenn er gegen Bewährungsauflagen verstößt. Zudem verhängt die Richterin eine Geldbuße in derselben Höhe - zugunsten einer Umweltorganisation. Und der Brandkrustenpilz? Da sind sich selbst die beiden Sachverständigen, die im Prozess aussagten, nicht einig. Ob die Buche befallen war oder nicht, bleibt damit ein Rätsel. Und für den Brandkrustenpilz gilt weiterhin die Unschuldsvermutung.