1. Hamburger Abendblatt: Ostern feiern Christen in aller Welt die Auferstehung Jesu. Was hat der Osterhase da verloren?

Prof. Gunther Hirschfelder: Wie die Urchristen Ostern gefeiert haben, liegt völlig im Dunkeln. Sicherlich aber ohne Hasen. Eins ist aber sicher: Ostern ist das älteste und kontinuierlich wichtigste Fest der gesamten Christenheit. In der Wahrnehmung der breiten Bevölkerung und der Medien ist die Konkurrenz von Weihnachten allerdings seit dem späten 20. Jahrhundert übermächtig: Kommerz schlägt Kultus.

2. Und warum eigentlich kommt der Osterhase dazu, Eier zu legen?

Hirschfelder: Klar ist immerhin: Erst war das Ei da, dann der Hase. Das Ei ist ein Symbol für Leben und Fruchtbarkeit, das ist ja offensichtlich. Aus der harten Schale schlüpft ein fertiger Vogel. Diese Zusammenhänge haben wir im alten China ebenso wie im mittelalterlichen Christentum. Der Hase ist schon komplizierter. Die Bibel erwähnt ein Tier namens "Klippschliefer", hebräisch "schafan", das ist dann bald mit lateinisch "lepusculus" übersetzt worden, Häschen, und der Hase wurde zum Auferstehungssymbol. Hase und Ei kamen dann erst im 17. Jahrhundert zusammen, aber den Leuten gefiel das so gut, dass sich der Osterhause epidemisch ausgebreitet hat.

3. Welche der vielen praktizierten Osterbräuche sind Ihnen ein Gräuel?

Hirschfelder: Als Kulturwissenschaftler ist mir nichts ein Gräuel. Wir untersuchen alles. Spannend finde ich zum Beispiel, mit bekennenden Atheisten, die einen riesigen Osterschmuck ums Haus zaubern, über den Sinn dieser Untaten zu sprechen. Da sieht man schnell: Ostern wandelt sich vom christlichen Brauch zum Frühlingsfest.

4. Was ist an Osterbräuchen noch unerforscht und sollte unbedingt geklärt werden?

Hirschfelder: Die Entstehung und Verbreitung des Osterhasen. Viele Brauchformen der Vormoderne - ein schwarzes Loch. Was aber noch spannender ist: Was heute anlässlich Ostern passiert, verrät viel über die Transformation unserer alten bürgerlichen Industriegesellschaft in eine globalisierte, postmoderne, mobile und digitale Welt. Welche Symbole bleiben? Was ändert sich? Und warum wollen aber auch wirkliche alle Ostereier essen, unabhängig von Glauben, Religion und Herkunftskultur?

5. Trägt das Geschäft mit Ostern (von Schokohasen bis zu Geschenken) eigentlich dazu bei, dass alte Bräuche wie das Eierfärben beibehalten werden?

Hirschfelder: Kommerzielle Interessen dominieren die Alltagskultur. Immerhin erfüllen Osterbräuche heute auch eine pädagogische Funktion, in Schulen oder Kindergärten. Wie die Grundbotschaft ja stark ist und immer cool bleibt: Der Mensch braucht keine Angst vor dem Tod zu haben und kann ihn sogar überwinden.