Der Karsonnabend ist ein Tag, den man in seiner eigentlichen Bedeutung kaum wahrnimmt. Als Brückentag zwischen zwei Feiertagen heißt er schon Ostersonnabend, und es werden Geschenke gekauft, Eier gefärbt und die letzten Besorgungen für das Familienfest getätigt. In der Regel geht es an diesem Sonnabend hektisch zu. Dabei ist der Tag nach Karfreitag ursprünglich ein Tag der Ruhe und des Innehaltens. Schließlich ist es der Tag nach dem Tode Jesu am Kreuz.

Wer schon einmal den Tod eines vertrauten Menschen verkraften musste, weiß den Charakter dieses Tages vermutlich zu schätzen. Denn nach dem ersten Schock, den jeder Tod auslöst, und der anschließenden notwendigen Betriebsamkeit folgt eine Zeit der Erschöpfung oder sogar der Lähmung. Nichts geht mehr. Jetzt erst realisiert man, was geschehen ist, und fällt in ein tiefes Loch. Man möchte sich am liebsten verkriechen und von allen in Ruhe gelassen werden. Dieser Rückzug ist notwendig, und all die gut gemeinten Ratschläge, man solle sich doch nicht hängen lassen und unter Leute gehen, sind selten hilfreich. Die Seele braucht etwas ganz anderes. Wer die Bibel liest als eine Art Konzentrat menschlicher Erfahrung, entdeckt im Karsonnabend jene Ruhe- und Einkehrzeit, die nach einem schweren Schicksalsschlag unverzichtbar ist. So ein Tag des Innehaltens täte ja nicht nur dem Einzelnen gut, sondern gerade auch der Gesellschaft. Denn oft verfallen wir nach einem erschütternden Unfall, nach einem Amoklauf oder einer Katastrophe wie jetzt in Japan in Aktivismus, fordern sofort neue Gesetze und einen politischen Kurswechsel. Da wäre ein Karsonnabend genau das Richtige: innehalten, trauern, den Schrecken begreifen, die Klage herausschreien und das Unsagbare aushalten.

Unsere Gesellschaft ist recht arm an solchen Karsonnabend-Ritualen. Das hat vermutlich damit zu tun, dass in unserer modernen Kultur Krisen fast nur als etwas Negatives verstanden werden. Dabei sind Krisen fast immer Regenerationsprozesse und wirken reinigend - wie sich in der Bibel wunderbar nachlesen lässt. Ohne Karsonnabend, ohne das wirkliche Durchleiden von Trauer und Schmerz, ist das österliche Fest der Auferstehung und des Neuanfangs gar nicht zu begreifen.

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