Eine Beobachtung von Birgit Reuther

Seien wir mal ehrlich: Die Welt als Bühne zu begreifen, darin sind andere, nun ja, offensiver als der Durchschnittshanseat. Beispiel New York. Dass eine Frau auf der Straße lauthals zum Soul aus ihren Kopfhörern singt, vielleicht sogar eine Pirouette dreht, gilt nicht als öffentliches Ärgernis, sondern als normal.

Dass ein Mann auf dem Bahnsteig rhythmisch auf Blechdosen trommelt und eine Dame im Pelz klatschend mit einstimmt, ist keine Lärmbelästigung, sondern Pausenunterhaltung. Klar gibt es auch dort Menschen, die genervt abwinken. Doch viele leben nach dem Prinzip des "Enjoy Yourself!" Der Zug ist noch nicht da? Warum also nicht ein wenig tanzen, grooven, wenigstens wippen, statt steif zu warten.

Neulich in der Hamburger S-Bahn flammt es kurz auf, dieses New-York-Gefühl. Ein junger Typ steht an der Haltestange am Ausgang. Wollmütze in der Stirn, der gestreifte Pulli lässig über der Hüfte. Zu einer Musik, die nur in seinem Kopf zu laufen scheint, wiegt er sanft den Kopf. Dann schwenkt er geschmeidig einen Arm. Schließlich kreist er mit den Füßen über den Boden. Ein Kick und eine Welle fließt durch seinen Körper. Alle seine Bewegungen schreien nicht nach der großen Show, sondern geschehen in sich versunken, konzentriert. Als gehe er in Gedanken eine Choreografie durch. Für die große Bühne. Die kleine alltägliche in der S-Bahn hat er schon überzeugend bespielt. Leise und poetisch. Ein gutes Beispiel.