Der Hamburger Comic-Künstler Sascha Hommer zeichnet die suggestiven Kurzgeschichten von Brigitte Kronauer in seinem neuen Buch nach.

Hamburg. In der WG-Küche, am Kühlschrank, hängen Flyer und Postkarten, auf einer steht "Dri Chinisin". Das ist leicht identifizierbar das Kinderlied. Drei grimmig schauende Kinderköpfe umrahmen den Schriftzug, selbst die Kulleraugen helfen nicht. Niedlich geht anders. Sascha Hommer ist in dieser WG in der Neustadt zu Hause. Er ist es auch, der die drei Köpfe gezeichnet hat, die Postkarte zeigt das Cover seines neuen Buchs, in dem er Erzählungen der Hamburger Autorin Brigitte Kronauer nachzeichnet.

Ein schwieriges Unterfangen ist das, Kronauer ist eine anspruchsvolle Autorin; ihre Texte sind suggestiv und nicht leicht zu interpretieren. Dem Comic-Zeichner Hommer, 31, ist das Kunststück trotzdem geglückt. Heute Abend stellt er seine Arbeit vor.

Gleichzeitig wird die Büchner-Preisträgerin Kronauer die von Hommer bearbeiteten Kurzgeschichten lesen. Hommer ist gebürtiger Schwarzwälder und lebt seit zehn Jahren in Hamburg, er sagt: "Comics werden immer populärer, es gibt mehr Zeichner als früher und mittlerweile auch so etwas wie einen Markt." Vor nicht allzu langer Zeit war das noch anders, da waren gezeichnete Bildergeschichten eher ein elitäreres Vergnügen. Mit kleinen, intimen Comic-Festivals und leidenschaftlichen Sammlern, die die Künstler persönlich kannten. Populäre Heft-Reihen wie "Asterix" oder "Micky Maus" waren stets nicht die einzigen Comics, es gab immer auch Einzelwerke in Buchform - das sind auch heute die wahren Liebhaberobjekte.

Bilder erzählen Geschichten, das hat Hommer, der drahtige Mann mit den krausen dunklen Haaren und der Hornbrille, früh begriffen: Als Kind las er selbst "Asterix". Nach Hamburg zog es ihn einst, weil er bei Anke Feuchtenberger lernen wollte. Die Zeichnerin unterrichtet an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften und gilt als Koryphäe auf ihrem Gebiet. Heute kann man (und er) anders als früher als Zeichner von Comics der gehobenen Klasse seinen Lebensunterhalt bestreiten. Weil die Kunstform "Comic" in den vergangenen Jahren "in bürgerlichen Kunstdiskursen" angekommen ist, wie Hommer es ausdrückt. Fünf Bücher hat er bereits veröffentlicht, alle beim Berliner Reprodukt-Verlag. Mit dem ist die jüngste Erfolgsgeschichte des Genres eng verbunden. Comics heißen seit geraumer Zeit auch Graphic Novels, ein Begriff, der sich marketingtechnisch gut einsetzen lässt. Betrachtet man den (kleinen) Siegeszug der Gattung, fallen besonders die Comic-Adaptionen von literarischen Werken ins Auge, von Kafka zum Beispiel oder Proust.

Hommer hat zuletzt fantasievoll und liebevoll, aber auch realistisch Coming-of-Age-Geschichten gezeichnet ("Vier Augen", "Insekt"), auf Kronauer ("Ich kannte sie vorher nicht") kam er 2007, als er eine Erzählung der in Nienstedten lebenden Schriftstellerin für eine Zeitschrift adaptierte. "Das gefiel auch ihr, und deshalb machte ich nun ein ganzes Buch", sagt Hommer. Sechs Geschichten, darunter die titelgebende "Dri Chinisin", hat er gezeichnet, "und dabei wollte ich, wenn das überhaupt möglich ist, den Anspruch ihrer Literatur in meine Arbeit übersetzen".

Was heißt, dass diejenigen, die vor Brigitte Kronauers sprachmächtiger, verspielter und vielfach gespiegelter Prosa (unverständlicherweise!) kapitulieren, bei Hommer keine grobe Vereinfachung finden. Die Geschichten bleiben rätselhaft. "Brigitte Kronauer ist eine Autorin, die einen immer an der Nase herumführt", erklärt Hommer, "sie wechselt die Perspektiven, das ist eine tolle Verwirrungsstrategie. Und wenn du als Leser denkst, es passiert gerade nichts, passiert eben doch etwas - und umgekehrt."

Da ist zum Beispiel die Geschichte "Frau John kommt!", in der es um eine kapriziöse Dame geht, die die Fantasie der Nachbarschaft anregt. Was und wer sie genau ist, erfährt der Leser nicht - weder bei Kronauer noch bei Hommer: Der zeichnet in seiner ohnehin reduzierten Bildsprache stets nur die Rückansicht und einzelne Körperteile der wundersamen Person. Samt hochhackiger Schuhe. Letztere sind ein Topos bei Kronauer - und tatsächlich Gegenstand einer ihrer Verbesserungsvorschläge, als Sascha Hommer ihr nach getaner Arbeit sein Werk vorlegte.

Denn das betreffende Bild mit Bein und Schuhen fehlte Brigitte Kronauers Ansicht nach. "Aber sonst haben ihr meine Zeichnungen gefallen; nachdem sie mir das mehrere Male gesagt hatte, glaubte ich es auch", erzählt Hommer.

Er hat Kronauers Geschichten - am eindrucksvollsten die von den bösen Kindern mit ihrem "Dri Chinisin"-Kinderlied auf den wütenden Lippen - zeichnerisch interpretiert, "aber jeder versteht Geschichten anders". Man kann Hommers Comics auch ohne Texte nachvollziehen; die Textzeilen stammen jedenfalls allesamt aus Kronauers Geschichten: "Unsere langbeinigen Mütter glauben alles über uns zu wissen", feixen die singenden Kinder. Stilistisch lehnt sich Hommer an seine japanischen (Osama Tezuka, Hayao Miyazaki) und amerikanischen Vorbilder (Charles Schultz, Chris Ware) an, ohne ganz in einer Zeichenschule aufzugehen: Das ist visuell sehr überzeugend.

Sascha Hommer: "Dri Chinisin". Nach Erzählungen von Brigitte Kronauer. Reprodukt. 80 S., 14 Euro.

Comicrelease und Lesung: mit Brigitte Kronauer, 15.04., 20.00, Galerie Linda (Seilerstraße 36)