Eine streng geregelte Untersuchung auf Erbkrankheiten bei künstlich befruchteten Zellen (PID) hat nirgendwo zum befürchteten Werteverlust geführt, meint Krista Sager

Wenn der Bundestag sich heute mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) befasst, werde ich einen Gruppenantrag unterstützen, der sich für eine begrenzte Zulassung dieser Diagnosemethode bei der künstlichen Befruchtung (In-vitro-Fertilisation IVF) einsetzt. Dabei geht es um die Frage, ob die PID zugelassen werden soll, für eine kleine Gruppe von Eltern, die ein hohes Risiko für die Geburt eines Kindes mit einer schweren erblich bedingten Krankheit oder für erblich bedingte Tot- und Fehlgeburten haben.

Nach gründlicher Neubefassung mit diesem Thema habe ich meine frühere ablehnende Haltung gegenüber der PID aufgegeben. Meine frühere Ablehnung basierte auf Befürchtungen, die auch heute die Diskussion prägen: die Angst vor einem moralischen Dammbruch mit fatalen Folgen. Da die PID aber seit vielen Jahren in den meisten europäischen Ländern, unter anderem in Großbritannien, Frankreich, Schweden und Spanien, erlaubt ist, kann man feststellen, dass bei unterschiedlich enger Regulierung der befürchtete Werteverlust durch die PID nirgends eingetreten ist.

Die PID wird nur in einer sehr kleinen Zahl von Fällen bei sehr seltenen erblichen Vorbelastungen durchgeführt. In Großbritannien wurden 2008 gerade mal bei 182 Frauen PIDs durchgeführt, das sind 0,42 Prozent der IVFs. Motiv ist immer ein Kinderwunsch der betroffenen Paare. Viele von ihnen haben schon mehrere Fehl- und Totgeburten hinter sich oder ein Kind durch eine schwere Erbkrankheit verloren; nicht selten haben die Eltern bereits ein schwer krankes Kind. Diesen Paaren zu unterstellen, sie würden mit ihrer Entscheidung für eine PID ein Werturteil über das Leben von Menschen mit Behinderung oder mit schweren Krankheiten treffen, ist sicher unzutreffend und ungerecht. Es handelt sich um eine individuelle Gewissensentscheidung aus einer persönlichen Konfliktsituation heraus.

Die Zulassung der PID hat nirgends zu einer Veränderung der gesellschaftlichen Haltung gegenüber Behinderten geführt. Es gibt weder die Produktion von Designer-Babys noch ein allgemeines Embryonen-Screening. Dafür sind die Belastungen und Risiken bei einer künstlichen Befruchtung - auch ohne PID - viel zu groß.

Ein Verbot der PID wäre unverhältnismäßig im Vergleich zu anderen rechtlichen Regelungen, die dem Selbstbestimmungsrecht der Frau im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft einen großen Stellenwert einräumen. Ein Schwangerschaftsabbruch ist in den ersten zwölf Wochen bei Beratung straffrei, die deutsche Praxis entspricht weitgehend einer Fristenregelung. Verhütungsmittel, die die Einnistung des Embryos verhindern und zu seinem Absterben führen, sind erlaubt. Bei der Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der körperlichen oder seelischen Gesundheit der Frau ist nach dem negativen Ergebnis einer Pränataldiagnose (PND) nicht nur ein Abbruch, sondern sogar eine Spätabtreibung erlaubt. Die Ärzte überlassen die Einschätzung der Situation in der Praxis den Frauen beziehungsweise den Eltern.

Bei einigen Krankheiten würde ein Verbot der PID darauf hinauslaufen, dass man in das Selbstbestimmungsrecht so weit eingreift, dass betroffene Paare sich vor der Schwangerschaft bestimmte Informationen nicht besorgen dürfen, dass man die viel höhere Belastung, über die spätere Abtreibung eines schwer geschädigten Kindes zu entscheiden, aber für zumutbar hielte. Dabei wird das Motiv, eine schwere Erbkrankheit zu vermeiden, vom Gesetzgeber an anderer Stelle durchaus unterstützt. Die Spermienauswahl nach Geschlecht ist in Deutschland verboten, aber beim Risiko schwerwiegender geschlechtsgebundener Krankheiten erlaubt.

Der Gesetzgeber muss in seinen gesetzlichen Maßstäben konsistent sein. Das Recht auf Fortpflanzung ist verfassungsrechtlich geschützt. Eine Religionsgemeinschaft kann von ihren Anhängern verlangen, dass sie eine PID aus moralischen Gründen ablehnen und entweder auf ein Kind verzichten oder das Risiko einer schweren Erbkrankheit in Kauf nehmen.

Das Parlament sollte eine solche Bewertung aber nicht zur Grundlage eines allgemeinen Gesetzes für alle machen und damit einer kleinen Gruppe von besonders betroffenen Menschen die Möglichkeit einer persönlichen Gewissensentscheidung nehmen. Durchgeführt werden sollte die PID in einer kleinen Zahl zertifizierter und kontrollierter Zentren auf Antrag nach gründlicher Untersuchung und Beratung.