Ein niederländischer Marineoffizier hat womöglich die Familie eines somalischen Piraten gefährdet

Neustadt. Schlaff hängen die Schultern herunter, er vergräbt sein Gesicht in den Händen. Warum Abdul D., einer der zehn Angeklagten im Piratenprozess, so völlig neben sich steht, wird offenkundig, als sein Verteidiger Andreas Thiel den zweiten Teil einer Erklärung seines Mandanten verliest: Der Halbbruder von Abdul D., 28, sei vor wenigen Tagen in Somalia erschossen worden. Und Thiel lässt keinen Zweifel, wer dafür die Verantwortung trägt: ein holländischer Marineoffizier, der dem Landgericht offenbart hatte, dass Abdul D. den Niederländern geheime Informationen über die Führungsriege somalischer Piraten zugeschanzt hatte.

Soldaten der holländischen Fregatte "Tromp" hatten die zehn Piraten am 5. April 2010 kurz nach der Kaperung des Hamburger Frachters "Taipan" überwältigt. Der Marineoffizier Richard de W. leitete die Vernehmung der auf der "Tromp" festgesetzten Piraten. Einer der Piraten habe Informationen an ihn weitergegeben, so brisant, dass sie als geheim eingestuft wurden, so de W. in der Verhandlung am 9. März. Auf Nachfrage, wer der Informant gewesen sei, zeigte er auf Abdul D. Da war der 28-Jährige öffentlich enttarnt. Für seinen Verteidiger Thiel ein Skandal, denn de W. hätte sich auf Geheimhaltung berufen können. Thiel: "Den Verrat liebt man, den Verräter nicht."

Am Tag nach der Aussage tauchten, so Thiel, "bewaffnete Leute, die mit den Piraten zu tun haben", bei der Familie seines Mandanten in Somalia auf. Sie hatten Fragen: Was hat Abdul D. den Niederländern erzählt? Arbeitet er für sie? Die Banditen hätten darauf auch seinen Vater unter Druck gesetzt: Wenn er nicht rede, werde sein Sohn - der ältere Halbbruder von Abdul D. - sterben. Doch weil der Mann nichts wusste, konnte er auch nichts erzählen. Am 11. April sei sein Mandant benachrichtigt worden, dass sein Bruder erschossen wurde. Abdul D. behalte sich nun vor, die geheimen Informationen offenzulegen - "damit der Tod seines Bruders nicht völlig sinnlos war".

In beinahe romanhaften Zügen hatte Thiel zuvor die traurige Lebensgeschichte seines Mandanten geschildert. In dem vom Bürgerkrieg zermürbten Land herrsche Anarchie und Gewalt. Er sei wütend auf die "gesamte somalische Bevölkerung", so Abdul D. "Sie hat keine Regierung, keinen Staat, keine Ordnung - und jetzt verunsichert sie auch noch den Rest der Welt." Er meint die Piratenangriffe auf westliche Frachtschiffe - an einem war er selbst beteiligt. Nach seinen Angaben waren im Frühjahr 2010 dubiose Männer auf ihn aufmerksam geworden, weil er ein paar Brocken Englisch sprach. 200 US-Dollar hätten sie ihm gegeben - offenbar ein Köder, um ihn zur Teilnahme an Piraterieeinsätzen zu nötigen. Abdul D. sollte bei den Schiffsentführungen übersetzen.