Am 1. Mai fallen Beschränkungen für Arbeitnehmer aus Osteuropa weg. Dies soll den Fachkräftemangel in Deutschland lindern.

Hamburg. Wenn diese Prognose zutrifft, steht der deutsche Arbeitsmarkt vor einem Umbruch: Als Folge der zum 1. Mai in Kraft tretenden Arbeitnehmerfreizügigkeit werden in den nächsten zehn Jahren Millionen osteuropäische Einwanderer ins Land kommen, erwartet Hans-Werner Sinn, der Präsident des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts ifo. "Ich glaube, das ist gut so", sagte Sinn.

Denn bisher seien die Grenzen für Menschen offen gewesen, die nicht arbeiten wollten. Das werde sich nun ändern. Am Beispiel Großbritanniens, das schon länger die Grenzen für Arbeitnehmer geöffnet hat, zeige sich deutlich, dass keineswegs nur Hilfsarbeiter kämen, sondern qualifizierte Kräfte - und diese würden von deutschen Firmen derzeit häufig vergeblich gesucht. Vor diesem Hintergrund sei der Fachkräftemangel eine "Geisterdebatte", meint der ifo-Präsident.

Auch in Hamburg hofft man auf positive Auswirkungen der Öffnung. "Die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit, wie sie ab dem 1. Mai 2011 gelten wird, birgt gerade für die Hamburger Wirtschaft mit ihren engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Mittel- und Osteuropa mehr Chancen als Risiken", sagt Hans-Jörg Schmidt-Trenz, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg. Die Arbeitsmarktöffnung könne dazu beitragen, den zunehmenden Fachkräftemangel, der sich immer stärker als Wachstumsbremse für die Unternehmen der Stadt herauskristallisiere, zu lindern.

Ein Beispiel für eine solche Firma ist InnoGames, ein Harburger Entwickler und Betreiber von Onlinespielen. "Wir wollen die Zahl der Beschäftigten von zurzeit 140 bis zum Jahresende auf 200 ausbauen", sagt InnoGames-Manager Dennis Heinert dem Abendblatt, "aber es gibt nicht genug qualifizierte IT-Fachkräfte in Deutschland, deshalb suchen wir auch im Ausland und haben Beschäftigte aus zehn Nationen." Zwar hat die Firma schon mehrere Mitarbeiter aus Osteuropa eingestellt, "aber das bedeutet heute noch hohen bürokratischen Aufwand". Heinert legt Wert auf die Feststellung, dass es nicht darum gehe, das Gehaltsniveau zu drücken: "Osteuropäer verdienen bei uns nicht weniger als ihre deutschen Kollegen."

Mit dem 1. Mai entfallen die Beschränkungen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt bisher für Menschen aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn sowie aus Malta und Zypern galten.

Zu den Auswirkungen auf Deutschland gibt es unterschiedliche Schätzungen. "Wir rechnen zu Anfang mit 100 000 bis 140 000 Zuwanderern pro Jahr", sagte Herbert Brücker, Forschungsbereichsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit, dem Abendblatt. Bisher lebten rund 600 000 Personen aus den genannten Ländern in der Bundesrepublik.

Die künftigen Zuwanderer aus Osteuropa seien zumeist jüngere Menschen im Alter bis zu 35 Jahren, und diese seien im Schnitt höher qualifiziert als die Gesamtheit der deutschen Arbeitnehmer, erklärte Brücker. "Die Zuwanderer sind vor allem eine Konkurrenz für die schon jetzt im Land lebenden Ausländer." Ebenso wie ifo-Präsident Sinn geht der IAB-Experte davon aus, dass der Effekt der Arbeitsmarktöffnung auf die deutsche Volkswirtschaft insgesamt positiv ausfallen wird.

Allerdings gibt es auch kritische Stimmen. Eine Verschärfung der Bedingungen im Handwerk sieht Thomas Bredow, Vizepräsident der Handwerkskammer Hamburg: "Wir müssen damit rechnen, dass ausländische Entleihunternehmen ihre Dienstleistungen billiger anbieten. Ich appelliere daher an hamburgische Auftraggeber, sich nicht durch Dumpinglöhne kaufen zu lassen."

Der Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) forderte gestern eine sozial und gerecht gestaltete Umsetzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit. "Mit Sorge" nehme man zur Kenntnis, dass bislang keine ausreichenden Vorkehrungen zur Verhinderung von Lohndumping und zum Schutz von einheimischen wie aus den osteuropäischen Ländern zuwandernden Arbeitnehmern getroffen worden seien. Aufgrund der Erfahrungen mit der Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie sei eine Zunahme der "prekären Beschäftigungsverhältnisse" zu erwarten.

Der DGB fordert von der Bundesregierung daher unter anderem die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde, eine flächendeckende Kontrolle der Einhaltung von Mindestlöhnen und deutlich mehr Personal für die Finanzkontrolle Schwarzarbeit.